06.08.2017

Warum man einen „mentalen Probelauf” haben sollte

Steve Ruis und Markus Wagner: Hilfen auf dem Weg zum perfekten Schuss.

Viele Top-Schützen berichten, dass sie vor jedem Schuss einen “visualisierten Prozess” nutzen, in dem sie den perfekten Schuss gedanklich ausführen, um ihn dort zu fixieren. Und es sind nicht nur Bogenschützen, die das tun. Man kann das bei dem australischen Golfprofi Jason Day sehen, kurz bevor er dann an seinen eigentlichen Abschlag geht. Warum tun sie dies? Ist das notwendig? Wie funktioniert das? Wir möchten das in diesem Artikel erklären.

Steve macht den Anfang . . .

Warum für Bogenschützen? (Weil es funktioniert)
Erstmals bemerkte ich diese Praktik als eine wissenschaftliche Studie von Basketballspielern veröffentlich wurde. Die spezielle Studie befasste sich mit den Freiwürfen und sie zeigte, dass Basketballspieler, die vor dem eigentlichen Freiwurf einen mentalen Probelauf durchführten (evtl. auch physisch kombiniert ohne Ball), anschließend beim Freiwurf eine höhere Trefferquote aufwiesen.
Dieses war eine empirische/pragmatische Studie. „Tue es und es funktioniert.“ Es wurde nicht weiter untersucht, warum es funktionierte aber (weil es eben menschlich ist) darüber spekuliert, dass es notwendig ist. Es ist bekannt, dass seine körperlich komplexe Aufgabe eine höhere Erfolgschance hat, wenn die dieser eine ähnliche Aufgabe/Übung vorrausging.
Wir wissen aus Erfahrung, dass, wenn wir eine repetitive (sich zu wiederholende) Aufgabe haben, der richtige Rhythmus oder das Tempo der Aufgaben oft einen „Sweet Spot“ (ein Optimum) mit sich bringt, der uns eine höhere Erfolgsquote ermöglicht. Verlangsame oder beschleunige diesen Ablauf und die Fehlerquote steigt. Das Argument: Der vorangehende Versuch ist die Vorlage für den nächsten Schritt – die Ausführung. Auch im Bogensport akzeptieren wir diese Argumentation. Wenn wir nach einer Serie von guten Schüssen einen schlechten Schuss haben, so wurde dieser Fluss unterbrochen und es fällt uns schwer, zur richtigen Vorlage zurück zu kommen.
Jede Art der Spekulation hierüber ist nachvollziehbar, aber kein Beweis für irgendetwas. Es ist lediglich ein Maßstab für unser Wohlbefinden in der Praxis mit unserem eigenen Verständnis für den Prozess. Grundsätzlich sollten alle Bogenschützen nur wissen: Es funktioniert!
Tests mit erfolgreichen Bogenschützen, die diese Praktik anwenden und empfehlen, sollten für andere Bogenschützen überzeugend genug sein, um diese Technik zumindest einmal auszuprobieren. Mehr darüber zu wissen muss nicht unbedingt hilfreicher sein und wird dem Schützen eher im Wege stehen.
Warum für Bogensportler? (Es gibt die Anweisungen an unser Unterbewusstsein)
Das „Warum“ erscheint mir offensichtlich. Dieser mentale Probelauf ist ein Weg für unser Bewusstsein, um mit unserem Unterbewusstsein zu kommunizieren, um den gewünschten Ist-Zustand zu erreichen. Wir haben ungefähr drei Bereiche von Prozessen, die unseren Körper kontrollieren: Einer ist autonom. Das sind Dinge wie die Geschwindigkeit, mit der unsere Herzen schlagen und unsere Atemfrequenz, die im Grunde automatisch ablaufen und wo keine Aufmerksamkeit notwendig ist.
Ein anderer Bereich ist bewusste geistige Verarbeitung, die, wie ich vermute, fast nichts mit einer muskulären Tätigkeit zu tun, wie das Schießen eines Pfeils und die unbewusste (oder unterbewusste) mentale Verarbeitung, die fast alles mit einer muskulösen Aktivität wie das Schießen eines Pfeils zu tun hat. (Anmerkung: Einige Wissenschaftler, die unsere „Verstand“ studieren, unterscheiden zwischen „was ist unbewusst“ und „was ist unterbewusst“. Für unseren Zweck hier gibt es keinen wichtigen Unterschied. Also verwende ich die Begriffe austauschbar.
Versuchen Sie ein einfaches Experiment: Nehmen Sie ein Stück zerknülltes Papier und werfen Sie es in einen Mülleimer in Ihrer Nähe. Was waren Ihre bewussten Gedanken während dieses Prozesses? Haben Sie die Masse/das Gewicht des Papierballs geschätzt? Und dann berechnet, wie viel Kraft benötigt wird aufgrund der Schwerkraft und der Distanz zum Mülleimer und den richtigen Abwurfwinkel, um diesen dann zu treffen? Nein? Das sind Beispiele für unbewusste Verarbeitungen. Und ich habe noch nie jemanden getroffen, der das wirklich so getan hat.
Der einzige bewusste Anteil hier war, dieses kleine Experiment zu machen und das Stück Papier und den Behälter zu wählen, um es dort rein zu werfen. Der Rest wurde durch den mentalen Prozess erledigt, dessen wir uns nicht bewusst sind. Bogenschießen ist eine so unbewusste Tätigkeit.
Ich vergleiche die Rolle des Bewusstseins in solchen Situationen mit der des Kapitäns eines sehr großen Schiffes. Der Kapitän gibt die Befehle, macht aber fast nichts, um diese Befehle umzusetzen. Die Crew macht die ganze Arbeit und der Kapitän beobachtet sie nicht einmal in Ausführung. Das Schiff und die Besatzung selbst haben Grenzen, so ist der Kapitän clever genug, keine Dinge zu erwarten, die nicht möglich sind. Als „Kapitän“ beim Bogenschießen ist der Kern das Erlernen und Wiederholen eines guten Schusses, bis es sich gut anfühlt und wiederholbar ist. Das ist die Grundlage für diese spätere Ausführung. Kein mentaler Probelauf wird einen Pfeil umdrehen und mit der Nocke zuerst zum Ziel fliegen lassen! Er muss sich auf etwas gut Einstudiertes beziehen.
Der ganze Sinn eines mentalen Probelaufs ist es, dem Unterbewusstsein die Anweisungen zu geben, was wir erreichen wollen. Unser Bewusstsein kann kleine Veränderungen in diesen Anweisungen geben, um auf Dinge wie Wind (Aim off!) oder eine runterlaufende Uhr zu reagieren (schnellerer Schussablauf!). Aber es kann nicht verwendet werden, um den Grundablauf des Erlernten zu ändern, da dieses vorher nicht praktiziert wurde. Die Anweisungen wären relativ vage, was dazu führt, dass die Ergebnisse weitgehend variabel werden.
Wenn wir unserem Unterbewusstsein Aufgaben erteilen, so sind das keine detaillierten Pläne, sondern eher Visionen: Wir eröffnen einen allgemeinen Blick und das Gefühl für den Schuss, den wir machen wollen und vertrauen darauf, dass unser Unterbewusstsein weiß, was es zu tun hat. Wir bestellen aus einem Katalog und bitten nicht um ein individuell gestaltetes Produkt. Der unterbewusste mentale Prozess scheint Worte und Zahlen nicht so gut zu verarbeiten also versuchen wir in Gefühlen und Bildern zu denken
Wie und wann der mentalen Probelauf?
Das “Wann” ist der einfachste Teil. Wegen der psychologischen Begrenzung von Erinnerungen und weil es sehr schwer ist, etwas im Bewusstsein zu halten was länger als ca. 9 Sekunden her ist. Unsere Aufmerksamkeit verlagert sich ständig, da es sehr schwer ist, sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren, während wir alle anderen Dinge weiterhin wahrnehmen. Also ist der beste Zeitpunkt für den mentalen Probelauf dann, bevor wir den Bogen hochnehmen. Das gibt uns genügend Zeit für den Schuss, da die unterbewussten „Anweisungen” noch frisch sind. Dieser Vorgang markiert die Grenze zwischen Schussvorbereitung und dem Schuss selbst.
Das “Wie” wird bestimmt durch unsere mentale Fähigkeit und nicht nur durch das, was wir tun oder sein wollen. Es gibt ein Sprichwort: „Unser Unterbewusstsein kann nicht zwischen Realität und lebhafter Phantasie unterscheiden!” (Ich wünschte, das wäre nachprüfbares Wissen. Wenn dem so ist, bin ich mir dessen nicht bewusst.) Das Schlüsselwort hier ist „lebhaft”. Der mentale Probelauf sollte so viele Sinnesmaßstäbe beinhalten, wie Ihre Vorstellung dazu in der Lage ist: visuell, auditorisch, olfaktorisch, taktil (das Sehen, das Hören, das Riechen, das Fühlen usw. von dem perfekten Schuss). Der Schuss muss in Ihrer Vorstellung perfekt sein, weil es das ist, worauf hin unser Unterbewusstsein ausgerichtet ist.: „Führe den perfekten Schuss aus!“ Die Fähigkeit, dass auch zu tun, verbessert sich mit der Praxis.
. . . Markus macht weiter
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