01.08.2022

Mit frischem Wind den Para-Bogensport beleben

Günter Kuhr im Gespräch mit Rainer Schemeit – Leiter Para-Bogensport im Deutschen Behindertensportverband (Leseprobe aus dem BOGENSPORT MAGAZIN 3/2022)

Rainer Schemeit ist seit 2002 mit wechselnden Funktionen im Deutschen Behindertensportverband (DBS) aktiv. Seit 2013 ist der 65-Jährige der Abteilungsleiter des Para-Bogensports im DBS und wurde Ende 2021 für weitere vier Jahre gewählt. Die Corona-Krise mit den besonderen Hygienemaßnahmen im Para-Sport setzte dem Wettkampfsport schwer zu, Deutsche Meisterschaften ließen sich nicht mehr finanzieren und auch im Nationalteam gab es Umwälzungen, die noch zu bewältigen sind. Im Gespräch mit dem Bogensport Magazin gibt Rainer Schemeit einen Einblick in die aktuelle Situation und ist zuversichtlich, den Para-Bogensport in Deutschland mit frischem Wind zu beleben. Ein wichtiger Schritt ist die Besetzung der aktuell vakanten Stellen der Cheftrainer. Das Gespräch wurde im April 2022 geführt.

BSM: Bevor wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Para-Bogensport werfen, skizziere doch deinen Weg zum Bogenschießen.
Rainer: 1976 hatte ich einen schweren Autounfall, bei dem ich einen Bandscheibenvorfall erlitt. Mein Arzt empfahl mir das Bogenschießen zur Kräftigung der Rückenmuskulatur. Bei der Vereinssuche erfuhr ich von einer Vereinsgründung in Achim bei Bremen, schoss dort meine ersten Pfeile und bin auch heute noch Mitglied in diesem Verein. Im Laufe der Zeit verschwanden durch die therapeutische Behandlung und die Stärkung der Rückenmuskulatur meine Lähmungserscheinungen, so dass ich heute zwar noch Einschränkungen habe, aber mein Gesundheitszustand im Wesentlichen zurückgestellt werden konnte. Mit den letzten Handicaps habe ich gelernt umzugehen.

BSM: Bist du mit den Handicaps aktuell selbst Para-Bogensportler?
Rainer: Im Para-Bogensport gibt es einige wichtige Unterscheidungen. Es gibt in Deutschland die Gruppe der allgemeinen Behinderungen, die einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 oder mehr haben. Darüber hinaus gibt es Para-Bogensportler, die nach der internationalen Klassifizierung über den Grad ihrer Behinderung einen Startplatz für internationale Wettkämpfe erhalten können. Das betrifft im deutschen Para-Bogensport etwa ein Drittel der Para-Sportlerinnen und -Sportler, die nach dieser Klassifizierung an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Zwei Drittel der deutschen Para-Bogensportler werden zur Klasse A/B gezählt und können international nicht schießen. Ich selbst zähle zu dieser A/B-Gruppe, da ich die internationale Klassifizierung nicht erreiche.

BSM: Die Aufgaben als Sportfunktionär kosten Zeit. Schießt du heute selbst noch aktiv Bogen?
Rainer: In den 1980er-Jahren begann ich zunächst neben dem aktiven Bogenschießen mit einem Recurvebogen auch erste Erfahrungen als Trainer zu sammeln, wurde später über viele Jahre Vorsitzender des Vereins und begann auf diese Weise langsam in die Rolle des Funktionärs im Sport hineinzuwachsen. Als ich dann die Stelle des Landestrainers in Niedersachsen übernahm und zudem für die Ausbildung zuständig war, wurde die verfügbare Zeit für mich als aktiver Bogenschütze immer weniger. Für die Inhalte der Ausbildung sammelte ich zwischenzeitlich Erfahrungen mit dem Compound, aber nie in der Intensität, dass ich mit dem Compound Wettkämpfe schoss. Die Aufgaben wuchsen und heute schieße ich – wenn es die Zeit zulässt – mit Leidenschaft Blankbogen.

BSM: Heute bist du auch der Abteilungsleiter für den Para-Bogensport im DBS. Wie war dein Weg bis zu dieser Funktion?
Rainer: Meine ersten Erfahrungen im Para-Bogenpsport sammelte ich in den 1980er-Jahren, als ich als Trainer regelmäßig Einladungen von einem Behindertensportverein in Achim erhielt, um dort eine relativ kleine Gruppe von Para-Bogensportlern zu trainieren. Mit diesen Erfahrungen bewarb ich mich 2002 auf eine ausgeschriebene Honorar-Trainerstelle beim DBS und erhielt den Zuschlag. Als der Abteilungsleiter für den Para-Bogensport im DBS schwer erkrankte, übernahm ich noch im selben Jahr nach einer Wahl auch diese Funktion. Als dann im Jahre 2004 der Cheftrainer für den Para-Bogensport wegen einer Erkrankung ausfiel, bewarb ich mich auf diese Stelle. Da die Statuten des DBS vorsehen, dass die beiden Spitzenpositionen des Abteilungsleiters und des Cheftrainers nicht von einer Person bekleidet werden können, wechselte ich in die Position des stellvertretenden Abteilungsleiters und wurde der Cheftrainer. Im Jahr 2010 gab ich die Stelle des Cheftrainers ab und wurde 2013 wiedergewählt zum Abteilungsleiter für den Para-Bogensport. Seitdem bin ich in dieser Funktion und wurde im letzten Quartal 2021 für weitere vier Jahre gewählt.

BSM: Im Para-Bogensport fiel bereits 2021 die DM im Freien aus, später auch die DM Halle. Kannst du etwas über die Hintergründe sagen?
Rainer: Der Para-Bogensport ist im DBS eine Disziplin, die ihre Kosten selbst tragen muss. Das bedeutet, dass alle Startgebühren, die bei den Wettkämpfen erhoben werden, zu einem Teil an den DBS abgetreten werden müssen, der andere Teil ist für die Finanzierung der Wettkämpfe bestimmt. Mit dem Beginn der Corona-Krise wurden intensive Hygienemaßnahmen eingefordert, die für den Para-Sport deutlich höher abgesteckt wurden als beispielsweise beim Deutschen Schützenbund. Schon vor der Corona-Krise waren allein durch medizinische Vorsorgemaßnahmen die Kosten für einen Wettkampf höher angesiedelt als beim Deutschen Schützenbund. Letztlich entscheidet beim Para-Sport immer ein Arzt der medizinischen Abteilung des DBS, ob die Maßnahmen ausreichend sind für die Ausrichtung eines Wettkampfes. Die durch die Corona-Auflagen gestiegenen Kosten für zusätzliche Helfer und Hygienematerialien konnten bei der Deutschen Meisterschaft nicht durch die Teilnahmegebühren abgedeckt werden. Die Abteilung Bogensport im DBS sowie die anderen angeschlossenen Sportdisziplinen forderten in den Sitzungen einen Corona-Zuschuss, der nicht bewilligt wurde. Für den Para-Bogensport zeigte sich zudem bei den Videokonferenzen mit den Landesvertretern, dass vielerorts ganz einfach die Trainingsmöglichkeiten für die Para-Bogensportler eingebrochen waren, insbesondere in der Halle. Der überwiegende Teil der Landesvertreter sah hier eine schlechte Voraussetzung für die Ausrichtung einer Deutschen Meisterschaft, da absehbar war, dass die Teilnehmerzahl zu gering sein würde, um die Finanzierung einer Deutschen Meisterschaft abzusichern. Unsere Kalkulation für erhöhte Teilnahmegebühren zur Absicherung des Wettkampfes kam letztlich auf einen Betrag, der keine Akzeptanz gefunden hätte. Daraufhin wurde zum zweiten Mal in Folge die Deutsche Hallenmeisterschaft abgesagt. Aktuell planen wir die Deutsche Meisterschaft im Freien, und wir hoffen, dass sich die Hygienemaßnahmen für den Para-Bogensport lockern, so dass wir den Wettbewerb finanziert bekommen. Die größte Hoffnung ist aber im Moment, dass sich der Sportbetrieb in den Vereinen belebt und die Para-Bogensportler wieder Zugang zu ihren Sportstätten erhalten. Denn nur mit dem Training können sich die Para-Bogensportler dem Wettkampf stellen.

BSM: Ende 2021 verabschiedete sich vorrübergehend der deutsche Para-Bogensport aus dem internationalen Wettkampfgeschehen. Wie kam es dazu?
Rainer: Das ist ein komplexes Thema. Dazu ist zunächst wichtig zu wissen, dass der Para-Bogensport innerhalb der Struktur des DBS eine Trennung zwischen der Abteilung für den Bogensport und dem Nationalteam Bogensport hat. Überschneidungen gibt es hier im Bereich der Nachwuchsfindung. Der Cheftrainer nutzt die Deutschen Meisterschaften als Plattform für die Talentsichtung der Nationalmannschaft. Daraus entwickeln sich Athleten, die international einsetzbar sind. Hier zeigten sich in den letzten Jahren unterschiedliche Auffassungen zwischen dem ehemaligen Cheftrainer Matthias Nagel, der Abteilung Bogensport und den Landesverbänden. Die Anzahl der deutschen Para-Sportler auf internationalen Wettkämpfen wurde reduziert, und daher führten wir schon vor den Paralympischen Spielen in Tokio immer wieder Gespräche mit dem Ziel, auch Nachwuchsathleten Erfahrungen auf internationalen Wettkämpfen zu ermöglichen und hier die Chance zu nutzen, über Teams Medaillen zu erringen. Derartige Erfolge sind grundsätzlich wichtig für Athleten, Trainer, und sie haben einen Einfluss auf die Höhe der Sportförderung für die Disziplin des Para-Bogensports. Auch wenn wir uns unzufrieden zeigten mit der Reduzierung der Athleten im Nationalteam muss berücksichtigt werden, dass es sich bei der Funktion des Cheftrainers zwar um eine Honorarstelle handelt, diese Tätigkeit jedoch in der Regel neben dem eigentlichen Beruf gestemmt werden muss. Das Training und die Wettkämpfe beanspruchen auf der anderen Seite ihre Zeit. Vor den Paralympischen Spielen in Tokio teilten der Cheftrainer sowie der Co-Trainer ihren Rücktritt mit und wir erhielten danach Bewerbungen für die Nachbesetzung der Stellen. Der DBS erwirkte dann in Gesprächen, dass der Cheftrainer sowie der Co-Trainer die Paralympischen Spiele vor ihrem Rücktritt noch betreuten. Der Rücktritt beider Trainer erfolgte schließlich Ende 2021. Wir hatten schon im November 2021 beim DBS beantragt, die Stellen neu auszuschreiben, aber hier gab es bis dato keine Reaktion, so dass die Stellen aktuell noch unbesetzt sind. Es gibt nun erste Überlegungen, ob ein Reset im Para-Bogensport sinnvoll ist, um mit einem Sichtungskoordinator die Talente für die Nationalmannschaft aufzugreifen und der Förderung zuzuleiten. Wir wünschen uns hier motivierte Verstärkung, um mit frischem Wind den Para-Bogensport im Nationalteam zu beleben.

BSM: Die aktuellen Entwicklungen geben Hoffnung, dass mit reduzierten Hygieneauflagen das Hauptaktionsfeld der Para-Bogensportler der Trainingsplatz ist. Wie steht es mit der aktuellen Motivation der Para-Bogensportler in Deutschland?
Rainer: Viele Vereine haben damit zu kämpfen, dass abgesagte Veranstaltungen nicht so einfach wieder in Gang gebracht werden können. Ich vermute auch, dass unsere 150 Starter bei der Deutschen Meisterschaft in diesem Jahr noch nicht wieder erreicht werden können, weil sich so manch einer aus dem Sport zurückgezogen hat. Dieses Phänomen sehen wir aktuell im Rückgang der Mitgliederzahlen. Auch die Ländervertreter sprechen davon, dass die große Masse einfach nicht da ist. Trotzdem gibt es weiterhin Sportbegeisterte und hier kann ich genauere Zahlen über Niedersachsen sagen. Hier verzeichnen wir nämlich einen Anstieg der Vereine und wir sehen auch einen Anstieg bei den aktiven Sportlern. Sollten die Meisterschaften aber auch in diesem Jahr abgesagt werden, würden wir in das zweite Jahr ohne Deutsche Meisterschaft gehen, und das wäre kein gutes Signal. Deswegen muss in diesem Jahr die Meisterschaft gelingen, egal wie der finanzielle Rahmen aussieht. Ich schreibe gerade ein Förderkonzept, um die Finanzierung abzusichern, damit wir das Signal setzen können, dass sich das Training für diesen Wettkampf lohnt. Für die internationalen Wettkämpfe ist es uns nun in Zusammenarbeit mit dem Verband gelungen, eine Realisierung für Selbstzahler zumindest für World Ranking-Wettbewerbe hinzubekommen. Das ist ein äußerst positiver Schritt in die richtige Richtung, so dass ich optimistisch bin, dass wir den Aufbau des Nationalteams vorantreiben können. Meine Hoffnung ist nun, dass wir im nächsten Schritt diese Entwicklung auch für andere internationale Wettkämpfe realisiert bekommen, so dass wir dann auch mit Mixed-Teams und Teams an den Start gehen können und sich dann unsere Medaillenchancen erhöhen.

BSM: Gab es für dich in den zurückliegenden Monaten ein besonderes Highlight im Para-Bogensport?
Rainer: Da ich seit über 20 Jahren in der Funktion des Landestrainers in Niedersachsen stehe, kann ich aus dieser Perspektive positives von den Berlin Open berichten, denn es ist uns mit einem Hygienekonzept zum zweiten Mal in Folge gelungen, hier mit Para-Sportlern aus verschiedenen Nationen an den Start zu kommen. Dank des außerordentlichen Engagements und der Unterstützung von Alfred Grzondziel aus Berlin gelang es sogar, Finalmatches bei diesem Hallenwettkampf zu realisieren. Darüber haben wir uns wirklich gefreut und sind mit dem Landeskader Niedersachsen angereist. Im Recurvewettbewerb konnten wir mit unseren Sportlern Gold, Silber und Bronze gewinnen. Das war für uns ein großartiger Erfolg und hat uns Auftrieb gegeben. Wichtig ist aber auch der Blick in die Zukunft des Para-Bogensports in Deutschland, und da wünsche ich mir einfach frischem Wind für unseren künftigen Gestaltungsprozess. Vieles hängt vom Engagement einzelner ab. Insofern erhoffe ich mir motivierte Menschen, die auf uns zukommen und gemeinsam mit uns Visionen entwickeln, um den Para-Bogensport Schritt für Schritt in eine gute Zukunft zu lenken. Dazu zählt sicher auch die Besetzung der aktuell unbesetzten Cheftrainerstellen.

BSM: Herzlichen Dank für den Einblick in den Para-Bogensport und wir wünschen dir und allen Para-Bogensportlern eine gute Entwicklung für diese so wichtigen Disziplin.

Weitere Informationen und Kontakte zum Para-Bogensport in Deutschland finden Sie im Internet unter www.dbs-bogensport.de