„Mein Fokus liegt immer auf dem folgenden Schuss“
Bogensport Magazin
Von Günter Kuhr (Foto: Dean Alberga)
Leseprobe aus dem BOGENSPORT MAGAZIN 5/2023
Florian Unruh blickt auf eine erfolgreiche Saison zurück. Bei den European Games gewann er die Goldmedaille im Einzel und sicherte zudem einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele 2024. Bei der Weltmeisterschaft in Berlin folgte die Silbermedaille, die er zusammen mit Michelle Kroppen im Mixed Team-Wett-bewerb gewann. Als wir Ende August dieses Interview führten, lag Florian Unruh auf Platz drei der Weltrangliste. In diesem Interview gewährt der Sportsoldat einen Einblick in die bewegenden Momente der Saison, er spricht über seine Strategien, mit denen er Wettkämpfe bewältigt, über das Training und die Unterschiede von Leistungskontrollen sowie über seine Ziele nach den Olympischen Spielen 2024.
BSM: Du stehst nach einer erfolgreichen Saison aktuell auf Platz drei der Weltrangliste. Welchen Stellenwert hatte für dich diese Saison?
Florian Unruh: Insgesamt bin ich zufrieden, bessere Leistungen sind natürlich immer möglich. Schwierig ist der Vergleich zu vorherigen Jahren, doch die Saison 2023 zählt bei mir auf jeden Fall zu den guten. Es gab in dieser Saison Phasen, in denen ich so gut schoss wie nie zuvor. Eine höhere Leistungskonstanz wäre dennoch wünschenswert gewesen. Beispielsweise hätte ich mir ein besseres Ergebnis beim letzten World Cup in Paris gewünscht, doch insgesamt bin ich mit der Saison zufrieden.
BSM: Du bist Sieger der European Games 2023 und konntest damit einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele 2024 sichern. Ist hier bereits Leistungsdruck abgefallen, so dass du entspannter in die Weltmeisterschaft gehen konntest?
Florian Unruh: Der Sieg bei den European Games war für mich überraschend, denn ich ging nicht davon aus, Gold zu gewinnen. Eher glaubte ich daran, dass wir mit dem Mixed Team den Quotenplatz holen. Der Sieg und der bereits gesicherte Quotenplatz im Einzel haben die WM tatsächlich entspannter gemacht, weil damit Druck abfiel. Im Olympiazyklus für Tokio hielt die Anspannung deutlich länger an, weil erst ziemlich zum Ende der Einzelquotenplatz gesichert werden konnte. Bei der WM in Berlin konnten wir uns deutlicher auf den Quotenplatz für das Team der Männer konzentrieren, auch wenn es letztendlich nicht gereicht hat.
BSM: Mit der Einstellung, die European Games nicht zu gewinnen, bist du sicher nicht nach Krakau gefahren?
Florian Unruh: Tatsächlich nicht. Ich fahre immer in einen Wettkampf, meine Leistung bestmöglich abzurufen. Wohin mich das dann im Wettkampf führt, hängt auch von den Leistungen der anderen Athleten ab, insbesondere in den Matches. Auf die Leistungen der Matchpartner habe ich keinen Einfluss. Ich kann mich nur darauf konzentrieren, was ich umsetze. Wichtiger finde ich es, sich im Klaren zu sein, wie weit es im Wettkampf gehen kann, wenn es gut läuft. Auf keinen Fall sollte man etwas ausschließen. Das heißt, ich bin auch bei der Weltmeisterschaft in Berlin mit dem Bewusstsein angetreten, dass ich Weltmeister werden kann, wenn alles gut läuft. Ich schließe das niemals aus, bin aber auf der anderen Seite auch Realist und wusste, dass der Sieg bei der WM nicht das wahrscheinlichste Szenario ist. Ich halte einfach alle Möglichkeiten offen.
BSM: Wo liegt dein Fokus während des Wettkampfes?
Florian Unruh: Mein Fokus liegt immer auf dem folgenden Schuss. Konkret konzentriere ich mich auf das Detail, das nach meiner Einschätzung in dem Moment wichtig ist, um den nächsten Pfeil gut zu schießen. An jedem Wettkampftag und in jeder Phase des Wettkampfes kann mein Fokus wechseln. Manchmal liegt mein Fokus mehr auf der rechten Seite, manchmal mehr auf der linken Seite. Mal geht es darum, locker zu sein, mal geht es darum, die Spannung zu erhöhen. Das kann innerhalb des Wettkampfes wechseln. Im Grunde genommen bin ich ständig auf der Suche danach, was ich machen muss, damit der folgende Schuss optimal wird. Diese Suche beginnt schon bei den Probepfeilen. Es geht immer darum, die Qualifikationsrunde und später die Matches bestmöglich abzuschließen. Wenn ich aber weiß, dass ein Satz eines Matches aufgrund der vorgelegten Ringzahl nicht mehr zu gewinnen ist, probiere ich mit dem folgenden Schuss auch mal Dinge aus, beispielsweise eine Korrektur an Details der Schießtechnik oder bei Wind einen anderen Anhaltepunkt auf der Scheibe. Das ist möglich, weil ich dann einen freien Schuss habe, bei dem die Ringzahl keine Rolle mehr spielt.
BSM: Du hast dich mit den Erfahrungen der letzten Jahre zu einem Routinier auf den internationalen Wettkampffeldern entwickelt. Wie hoch war dein Stresspegel beim Eintritt in das Goldfinale der European Games?
Florian Unruh: Als das Goldfinale begann, war der Quotenplatz für die Olympischen Spiele bereits gesichert, und so konnte ich recht gelassen in das Match gehen. Der Stresspegel auf einer Skala war geschätzt bei sechs von maximal zehn Punkten. Den maximalen Stresslevel hatte ich wohl im Jahre 2021 in Antalya bei dem Quotenplatzturnier im Rahmen der EM. Das letzte Match war entscheidend für einen Quotenplatz, und das hat den Stresslevel deutlich hochgesetzt. Damals lag ich sicher am Ende der Skala des Stresslevels. Im Goldfinale der European Games hingegen war die Chance auf den Sieg bei fünfzig Prozent, weil Miguel Alvarino Garcia und ich etwa auf dem gleichen Leistungslevel schießen. Ich wusste das und ging deshalb recht entspannt in das Goldfinale. Hinzu kommt eine Besonderheit der European Games. Die Matche, die ich an diesem Tag schoss, fanden alle auf dem gleichen Platz statt, und das reduziert den Stress ebenfalls.
BSM: Bei der Weltmeisterschaft in Berlin konntest du zusammen mit Michelle Kroppen die Silbermedaille der Mixed Teams gewinnen. War das Match gegen Südkorea eine Besonderheit?
Florian Unruh: Ja klar (lacht). Es ist klar, dass ein Match gegen Südkorea eine besondere Herausforderung ist. Aber auch vor einem solchen Match schließe ich nichts aus, so dass letztlich alles möglich bleibt. Es war eine knappe Entscheidung, denn wir waren mit den Ringzahlen der Sätze dicht dran an Korea. Letztlich hat es nicht gereicht für den Sieg, und die Silbermedaille ist ein gutes Resultat. Es gab unmittelbar vor dem Match eine besondere Situation. Die Koreanerin des Mixed Teams kam spät zum Goldfinale, denn sie hatte noch auf dem Maifeld trainiert. Sie hatte es gerade noch geschafft, ihren Zweitbogen aufzubauen, aber nicht mehr, auch nur einen Trainingspfeil auf dem Finalfeld zu schießen und eine vielleicht notwendige Korrektur am Visier vorzunehmen. Diese unvorbereitete Situation der Koreanerin hätte für uns einen Vorteil ergeben können. Als sie dann aber den ersten Pfeil in die Zehn schoss, war klar, dass sie sofort gut in das Finale reinkommen würde. Unsere bessere Vorbereitung brachte uns in diesem Fall keine Pluspunkte. Auf jeden Fall war es zum Ende ein schönes Match, das Spaß gemacht hat, vor allen Dingen vor dieser schönen Kulisse des Finalplatzes mit den vollen Zuschauerrängen.
BSM: Mit Lisa hatten wir in der Vergangenheit ein Interview über die Meditation gemacht. Meditierst du selbst auch, oder hast du andere mentale Werkzeuge, um die Herausforderungen des Wettkampfes zu bewältigen?
Florian Unruh: Ich meditiere nicht. Ich habe einfach ein Grundvertrauen, mit dem ich in die Wettkämpfe gehe. Mir hilft es, im Vorfeld die Chancen gedanklich zu analysieren und mit einer realistischen Erwartung in den Wettkampf zu gehen. Wenn ich in den Wettkampf gehe, weiß ich, was ich erwarten kann und was ich nicht erwarten kann. Das ist ein sehr abgeklärter Zustand. So werde ich nicht großartig überrascht, und alles bleibt letztlich im Bereich einer Möglichkeit.
BSM: Kannst du einen kurzen Abriss über die Vorbereitung auf die European Games und die Weltmeisterschaft geben?
Florian Unruh: Im Vorfeld waren wir wöchentlich oder zumindest zweiwöchentlich auf Wettkämpfen. Das Programm war dadurch vorgegeben. Diese Wettkämpfe bieten zwischen den Einsätzen immer auch die Möglichkeit, noch zu trainieren. Allerdings ist es nicht ganz einfach, die Balance zwischen dem Wettkampf, der Regeneration und dem Training zu finden. Das Training umfasst dann vielleicht noch 50 bis 100 Pfeile am Tag. Nach der Rückkehr von einem Wettkampf ging ich entspannter in den ersten Trainingstag mit einer eher niedrigen Pfeilzahl. An den anderen Tagen nutzte ich dann jeweils etwa fünf bis sieben Stunden für das Schießtraining, und es standen viele Leistungskontrollen auf dem Programm. Dabei haben wir am Bundesstützpunkt auch Matchtrainings mit den Teams gemacht. Diese Tage nutzte ich auch, um das Material zu prüfen und, wenn es erforderlich war, Anpassungen vorzunehmen. Vorbereitend auf die WM haben wir schon auf dem Maifeld trainiert, und das hat uns geholfen. Hier war das Mannschaftstraining ein Schwerpunkt.
BSM: Wie hoch ist dein Bedarf für das Techniktraining nach einer Wettkampfwoche?
Florian Unruh: Es kann schon sein, dass ich nach einem Wettkampf zurückfinden muss zur optimalen Technik. Das ist sehr unterschiedlich. Ist die Technik nach einem Wettkampf stabil, gehe ich sofort in die Leistungskontrollen. Es kann auch sein, dass ich die Leistungskontrolle nutze, um die Technik zu stabilisieren. Ist das nicht zielführend, arbeite ich erst an der Technik, bevor ich die nächste Leistungskontrolle schieße. Die Leistungskontrollen sind allerdings auch unterschiedlich. Manchmal schieße ich eine Leistungskontrolle, arbeite dabei an der Technik und notiere nebenbei die Ergebnisse, oder ich notiere die Ergebnisse in einer App, so dass ich die Gruppen analysieren kann. Dann gibt es aber auch Leistungskontrollen mit vorgegebenen Probepfeilen, in denen das volle Leistungspotenzial abgerufen wird. Leistungskontrollen unterscheiden sich also, und ich nutze sie teilweise für die Technikarbeit, wenn es erforderlich ist.
BSM: Vor den Olympischen Spielen in Paris liegt die Hallensaison. Wirst du Hallenwettkämpfe und die Bundesliga schießen, oder liegt der Fokus im folgenden Winter komplett auf den Vorbereitungen für die Spiele in Paris?
Florian Unruh: Das Training fokussiert sich tatsächlich auch im Winter überwiegend auf die 70 Meter, lediglich einen halben bis einen Tag in der Woche werde ich für das Training der 18 Meter-Distanz nutzen. Hallenwettkämpfe werde ich schießen. Die Bundesliga beispielsweise ist perfekt, um Erfahrungen und Routinen im Teamwettbewerb zu stärken. Außerdem macht die Bundesliga extrem viel Spaß und gibt Motivation und Energie, die ich mit in das Training nehmen kann. Gäbe es diese Hallenwettkämpfe nicht, hätte ich Probleme, die Motivation für das Training aufrecht zu halten. Auch die Wettkämpfe in Nîmes und in Las Vegas sind für mich wichtige Bestandteile der Saison. Das Training ist aber nicht auf die maximale Leistungsentwicklung bei den 18 Meter-Wettkämpfen ausgerichtet – hier geht es vor allem um Spaß und um den Erhalt der Motivation.
BSM: Wo konkret trainierst du während des Winters die 70 Meter-Distanz?
Florian Unruh: Am Bundesstützpunkt nutzen wir beheizte Holzbaracken, aus denen wir herausschießen auf die 70 Meter. Zudem steht uns eine Leichtathletikhalle zur Verfügung, in der wir mehrere Stunden in der Woche die 70 Meter trainieren können. Die Halle ist auch ein guter Ort, um Abstimmungen am Material vorzunehmen. Trainingslager des Bundeskaders in wärmeren Regionen ergänzen das Training auf die weiten Distanzen.
BSM: Wechselst du das Equipment, wenn du die Hallenwettkämpfe auf 18 Meter schießt?
Florian Unruh: Das weiß ich noch nicht. Ich habe das Glück, dass ich mehrere Bögen besitze. Sollte ich mich entscheiden, einen der Bögen auf Alupfeile abzustimmen, habe ich immer noch zwei Bögen, mit denen ich X10er auf 70 Meter schießen kann. Ob ich aber zur Hallensaison auf Alupfeile wechsle oder weiter die X10er schießen werde, kann ich heute noch nicht sagen.
BSM: Du schießt seit vielen Jahren Bögen von MK Archery. Was überzeugt dich an der Zusammenarbeit mit MK Archery und an den Bögen der Marke?
Florian Unruh: Als ich vor Jahren zu MK wechselte, war es ausschließlich die Qualität, die mich überzeugte. 2013 hatte ich bei meinem alten Bogen mehrmals Probleme mit defekten Wurfarmen, die verzogen waren. Mein Händler empfahl mir MK-Wurfarme, und ich kaufte zwei Paar davon. Die Messungen ergaben, dass beide Wurfarme exakt das gleiche Zuggewicht hatten. Die Seitenverstellung des Mittelteils stand in der Nullstellung, und beide Wurfarme waren exakt gerade. Mich überzeugte die Qualität, und ich entschied mich, diese Wurfarme zu schießen. 2014 schoss ich dann noch ein Hoyt-Mittelteil mit MK-Wurfarmen. MK kam dann auf mich zu und überzeugte mich für das Sponsoring durch die Marke. Seitdem schieße ich Mittelteile und Wurfarme von MK Archery. In dieser Zeit bekam ich immer perfektes Material in hoher Qualität. Diese Qualität konnte ich auch bei den MK-Bögen anderer Schützen feststellen, die ich auf Seminaren oder Wettkämpfen sah. Die MK-Bögen lassen sich einfach gut schießen, und in den letzten Jahren gab es immer wieder Weiterentwicklungen. Mein erster MK-Bogen beispielsweise lieferte zwar gute Ergebnisse, war aber im Abschuss noch ziemlich laut. Mit jeder neuen Generation der Bögen folgten Weiterentwicklungen, und dieses laute Abschussgeräusch gibt es heute nicht mehr. Der MK S, den ich heute schieße, ist mein absoluter Lieblingsbogen, und ich mag ihn mehr als alle anderen Bögen, die ich bisher geschossen hatte. Ich mag auch das Design der Bögen, auch wenn das natürlich immer eine Frage des persönlichen Geschmacks bleibt.
BSM: Nach Ende der Freiluftsaison folgt deine Regenerationsphase. Wirst du verreisen und die Zeit genießen, oder bist du dann als Sportsoldat in den Dienst bei der Bundeswehr eingebunden?
Florian Unruh: In diesem Jahr ist für mich kein Lehrgang bei der Bundeswehr angesetzt. Ich werde zunächst noch in die Feldbogensaison einsteigen und im September bei der Feldbogen-Europameisterschaft in Italien teilnehmen. Nach der EM werde ich zusammen mit Lisa in Italien bleiben und dort eine Zeit genießen.
BSM: Die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in Paris werden nochmal ein Kraftakt. Hast du Pläne für die Zeit nach den Spielen in Paris?
Florian Unruh: Direkt nach Paris möchte ich an der Feldbogen-WM teilnehmen, wo die Quotenplätze für die World Games 2025 vergeben werden. Und natürlich werde ich bei einer Teilnahme an der Feldbogen-WM versuchen, diesen Quotenplatz zu sichern, um den Weg zu den World Games zu eröffnen. Meine Planungen gehen also über die Olympischen Spiele 2024 hinaus.
BSM: Deine Leidenschaft für das Bogenschießen ist also ungebremst!
Florian Unruh: Auf jeden Fall.
BSM: Herzlichen Dank Florian für diesen Einblick und weiterhin so viel Erfolg auf deinem Weg.