14.09.2020

Eleganz, Technik und die Anmut der Weiblichkeit

Ein Interview mit dem Fotografen Markus Hertzsch / von Hy Quan Quach

Den Compoundbogen fest im Griff, blickt Angélique durch die Bogensehne hindurch direkt zum Betrachter. Die Spannung bezieht das Schwarz-Weiß-Bild dabei aus der antisymmetrischen Ausrichtung zwischen Compoundbogen und Model. Durch ihre geschwungenen Formen verschmelzen Material und Mensch hier zu einer Einheit aus Eleganz und Schönheit. Das hier beschriebene Bild stammt aus der Bilderreihe „Bow“ des Berliner Fotografen Markus Hertzsch und stellt nach „Two Beauties“ die zweite Bilderreihe dar, die seinem „roten Faden“ entspricht.

Der 1975 im thüringischen Altenburg geborene Hertzsch ist ein Autodidakt. Eigentlich wollte er zunächst Musiker werden; in der DDR war er Mitglied in einem Jugendsinfonieorchester. Nach der deutschen Wiedervereinigung kam allerdings das Aus für viele Spitzenorchester, erinnert er sich im Gespräch mit dem Bogensport-Magazin. „ich habe dann vieles ausprobiert. Der Fotoapparat und die Leidenschaft für das Fotografieren haben mich seit Kindesbeinen an begleitet. Die Entscheidung, mein Hobby zum Beruf zu machen, war ein großes Wagnis. Nirgendwo ist der Markt so übersättigt, nirgendwo ist der zu verteilende Kuchen kleiner.“

Die Möglichkeit zur fotografischen Ausbildung habe es zwar durchaus gegeben, etwa beim Berliner Lette-Verein, diese sei damals aber noch überwiegend klassischer Natur gewesen. Der Großteil des Unterrichts bestand aus Chemikalien-Entwicklung und Laborarbeit, betont Hertzsch. Dem aspirierenden Fotografen war aber schon damals bewusst, dass die Zukunft der Fotografie digital sein werde. Also eignete er sich das nötige Wissen im praktischen Selbststudium an. Überhaupt kenne er nur wenige Fotografen, die eine derartige Ausbildung absolviert haben. Die meisten seien – wie Hertzsch auch – ihrer Berufung gefolgt. Heute zählt Hertzsch zu den renommiertesten Bildkomponisten in der Branche. Sein täglich Brot verdiene er zwar in erster Linie mit Werbe- und Produktfotografien, sein Herz schlage aber nach wie vor für das künstlerische Schaffen – nur nicht mehr in musikalischer, sondern fotografischer Hinsicht.

„Zu erkennen, wonach das Bild verlangt“, lautete lange Zeit sein Credo. „Als Reporter freut es einen bereits, im Automodus brauchbare Fotos für die Berichterstattung schießen zu können. Die Technik, die heutzutage in den Geräten verbaut ist, sorgt grundsätzlich für technisch brauchbare Bilder. Aber die Frage hierbei lautet doch: Ist ein technisch einwandfreies Bild auch ein spannendes Bild?“ Für einen Fotokünstler wie ihn gehe es vielmehr darum, den Betrachter zu fesseln und eine Frage in ihm auszulösen – und zwar die nach der Botschaft. Das unterscheide einen künstlerisch schaffenden Fotografen von den anderen, erklärt Hertzsch. Aber um das „Verborgene“ der Bilder für den Betrachter sichtbar zu machen, sei die digitale Nachbearbeitung unverzichtbar. Und das wiederum könne auch aufgrund der schier unendlichen Möglichkeiten in Stunden an Arbeit ausarten. Nicht nur, weil er als Fotograf einen hohen Anspruch an sich selbst hege: „Der generelle Anspruch an ein Bild ist heute so viel höher als das, was eine Kamera überhaupt einzufangen vermag. Und was man mit der Fotografie an sich nicht erreichen kann, muss mühsam durch Programme wie Photoshop erzielt werden.“

Aber sein Blick für die kleinsten Details und seine methodische und akribische Arbeitsweise haben sich ausbezahlt: Mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, finden sich seine Fotografien in internationalen Fachmagazinen und in Kalendern wieder. In den sozialen Netzwerken ist der Fotograf ebenfalls aktiv und präsent. „Machen wir uns nichts vor, die kleinste Freude eines Fotografen ist es doch, gesehen zu werden“, lacht Hertzsch. „Vor 30 Jahren hätte man es erst als Fotograf geschafft, wenn man für die ‚Vogue‘ fotografieren darf. Wenn ich heute ein Bild ins Internet stelle, wird es in Spitzenzeiten von über 150.000 Menschen angeschaut. Kommen dann noch positive Kommentare hinzu, ist das Glück perfekt.“ Über mehrere Ecken erfahre er dann ab und zu auch von lobenden Bemerkungen anderer Fotografen. „Fotografen loben einander eher selten“, erläutert Hertzsch nicht ohne Augenzwinkern. „Wir sind in der Regel einsame Wölfe, die wenig bis gar nicht untereinander kommunizieren.“

Während Hertzsch die Möglichkeiten der Digitalisierung in Form sozialer Netzwerke begrüßt und als „Nutznießer“ davon profitiert, sieht er in der Kombination aus ihnen und Smartphones durchaus eine gewisse Gefahr für den Berufsstand des Fotografen. Denn das, was die Betrachter eines Bildes oft nicht erkennen, ist, dass es nicht so fotografiert wurde. Aber genau das vermittelt eine aufwendige Nachbearbeitung: eine als Natürlichkeit getarnte Illusion. Es sei schon auch ein Segen, dass man heutzutage mit einem Smartphone auch stets die Möglichkeit habe, immer und überall Fotos zu schießen, betont Hertzsch: „Die beste Kamera ist die, die man gerade dabei hat, versteht mich nicht falsch. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man mit einem Smartphone nicht die gleichen Fotos schießen kann wie jemand mit einer Vollformat-Kamera. Zu mehr als Dokumentationszwecken würde ich mein Smartphone daher nicht benutzen.“ Er selbst als Image- und Produktfotograf sei von dieser Entwicklung noch lange nicht betroffen, aber Kollegen, die sich etwa auf Hochzeitsfotografie spezialisiert haben, spürten bereits die Auswirkungen. „Leute mit einem schmalen Budget verzichten lieber auf einen Fotografen und zücken ihre eigenen Smartphones.“

Im Gegensatz zu vielen anderen seines Berufsstandes sei ihm der Spagat zwischen handwerklicher und künstlerischer Tätigkeit als Fotograf gelungen. Zu seinem eigenen künstlerischen Leitfaden fand Hertzsch schließlich durch eine Erkenntnis und eine Frage: „Einmal kam meine Mutter auf mich zu und fragte mich nach meinem roten Faden. Ich sagte, ich habe keinen, woraufhin sie entgegnete, dass doch jeder Fotograf einen haben sollte“, lacht er. Und die Erkenntnis? „Ich arbeite viel mit Models zusammen, die es nicht hauptberuflich betreiben. Oft versuchen sie dann, mehr darzustellen, als sie sind. Und indem sie das so zwanghaft und angestrengt versuchen, verlieren sie ihre Natürlichkeit.“ Drücke er ihnen aber dagegen einen Gegenstand in die Hand, so seine Beobachtung, agierten sie wesentlich enthemmter. Dann seien sie auf Augenhöhe mit dem Fotograf. Vor allem, wenn sie selbst eine Kamera in der Hand halten dürfen: die Geburt der Bilderreihe „Two Beauties“. Unzählige Kameraklassiker von Leica über Zorki bis hin zu Pentax sammelte Hertzsch über die Jahre für die Strecke an. Das Alte mit dem Jungen, Technik und Schönheit – das fand schon hier seine Anwendung. Nur das stilistische Element reiner Monochromfarben zog sich hier noch nicht durch die gesamte Serie.

Den Reiz des S/W-Looks entdeckte der 45-Jährige erst durch seine Bilderreihe „Studioworks“ für sich. „Es gibt Schwarz-Weiß und es gibt Schwarz-Weiß. Früher dachte ich, Schwarz-Weiß-Bilder seien für diejenigen, die sich nicht an Farbe herantrauten. Aber Magazine bevorzugen Bilderserien, die wie aus einem Guss wirken. So entwickelte ich ‚Studioworks‘: neutraler Hintergrund, quadratisch und Models, die mit sich selbst beschäftigt sind.“ Hier habe er sich vom Gedanken gelöst, das jedes Bild neu erfunden werden müsse. Das sei auch trotz des schlicht-eleganten Looks wesentlich komplizierter im Aufbau, betont er. Und dann kam „Bow“ – die Quintessenz seiner beiden vorangegangenen Bilderreihen.

Wie sind Sie auf die Idee zu einer solchen Bilderstrecke gekommen? Markus Hertzsch: Im Geiste war ich schon immer vom Bogensport fasziniert, auch wenn ich selbst nie diesen Sport betrieben habe. Ich bin sehr angetan von dieser Ästhetik der neuen Bögen. Bei meiner Recherche ist mir dann aufgefallen, dass es kaum ansprechende und ästhetische Fotografien von Frauen mit Bögen gibt. Die Fotos, die ich gesehen habe, sind in erster Linie Sportfotos mit Sportschützinnen, mittelalterlich angehauchte Fotos sowie Fotografien mit einem japanischen Langbogen. Im Fechtbereich gibt es dagegen sehr schöne und anmutige Fotos. Und bei meiner Bilderstrecke „Studioworks“ hat ein Model allein mit ihrer Körperhaltung einen Bogen verkörpert. Das Bild ist auch in einem Fachmagazin abgedruckt worden. Da kam in mir bereits der Wunsch auf, diese Idee weiter zu verfolgen – nur eben mit einem echten Bogen. Also habe ich den Entschluss gefasst, genau das zu tun.

War Ihnen eine fachliche Handhabung eines Bogens wichtig oder eher eine ästhetische Umsetzung Ihrer Ideen? Hertzsch: Mir ging es stets um eine künstlerische Herangehensweise an dieses Thema. Ich habe mir zur Vorbereitung zwar ein gesundes Oberflächenwissen angeeignet, um die absoluten No-Gos in der Handhabung zu vermeiden, in erster Linie ging es mir aber darum, ästhetische Fotografien zu erstellen.

Ihre Models mussten also keine Erfahrung mit einem Bogen vorweisen? Hertzsch: Nein, überhaupt nicht. Mit Angélique und Jane habe ich schon öfter zusammengearbeitet. Wir kennen uns gut und sie wissen meine Ideen und Vorstellungen umzusetzen. Bei Sophie war es Zufall, dass sie als Jugendliche bereits mit einem Bogen geschossen hat. Wobei ich sagen muss, dass es sicher hilfreich gewesen wäre, wenn sie alle bereits Erfahrung mitgebracht hätten (lacht). Obwohl sie alle Sportfanatikerinnen sind, hatten sie beim Shooting durch die Bank weg Probleme dabei gehabt, die Bogensehne richtig anzuspannen. Sie hatten aber auch nur einen kurzen Crashkurs vor dem Shooting. Wenn man so einen Bogen richtig auszieht, wirken enorme Kräfte. Das macht etwas mit den Muskeln. Und das wollte ich bei meinen Models zeigen.

Wie lange haben Sie im Durchschnitt an so einem Bild aus der Reihe „Bow“ gesessen? Hertzsch: Da ich bei dieser Bilderstrecke ähnlich wie bei der Schwarz-Weiß-Strecke „Studioworks“ immer mit dem gleichen Licht-Setup arbeite, weiß ich schon beim Shooting, dass das Bild in die Reihe passen wird. Das Zeitaufwendigste dabei ist tatsächlich die Nachbearbeitung selbst. Anders als früher, beginnt die eigentliche Arbeit erst nach dem Shooting. Allein die Haut-Retusche kann Stunden in Anspruch nehmen. Das Shooting selbst ist schnell erledigt, pro Model brauche ich da circa drei Stunden. Diese Art des Shootings geht mir zwar leichter von der Hand, verlangt aber umgekehrt das Meiste von den Models ab. Denn durch den relativ unspannenden Hintergrund, der häufig nur aus einem Hell-Dunkel-Verlauf besteht, konzentriert sich der Betrachter ganz auf das Model und das, was sie verkörpert.

Was haben Sie versucht, mit den Aufnahmen einzufangen oder zu vermitteln? Hertzsch: Ich sehe den Bogen nicht als eine Art Accessoire wie die Kameras bei meiner Bilderstrecke „Two Beauties“. Vielmehr bildet er gemeinsam mit dem Körper eine Einheit. Genauso wie der Speer mit dem Speerwerfer eine Linie bildet, ähnelt ein Bogen in seiner organischen Form dem Körper einer Frau. Der Compoundbogen mit seiner elegant geschwungenen, aber auch technisch anmutenden Form schmiegt sich geradezu an die femininen Kurven einer Frau. Das ist eine wunderbare Harmonie, die ich zum Ausdruck bringen wollte.

Ist die Bilderstrecke fertiggestellt? Hertzsch: Nein, genauso wie „Two Beauties“ und „Studioworks“ ist auch „Bow“ eine, an der ich kontinuierlich und immer wieder arbeiten werde. Bei den bisherigen Bildern für „Bow“ habe ich meinen Models nur die Vorgabe gegeben, in Sportkleidung zu kommen. Das will ich bei den kommenden Bildern variieren. Ich denke dabei auch an eine Annäherung an einen japanisch-kühlen Look.

Was für eine Erkenntnis haben Sie für sich persönlich aus diesem Shooting gewonnen? Hertzsch: Nun, interessanterweise sind sich Bogenschütze und Fotograf in einer Sache ziemlich ähnlich (lacht): Ein Bogenschütze spannt seinen Bogen an und wartet dann auf diesen einen richtigen Augenblick. Sobald er die Bogensehne loslässt, endet der Spannungsmoment augenblicklich und er kann nur noch das Ergebnis abwarten. Das ist wie bei einem Fotografen, der sein Objekt in den Fokus nimmt. Die Spannung findet sich hier in seinen Armen wieder. Betätigt er dann den Auslöser, liegt alles Weitere nicht mehr länger in seiner Hand. Sowohl Schütze als auch Fotograf haben nach all der akribischen Vorbereitung diesen Augenblick des völligen Ausgeliefertseins.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Infos:
Fotograf: Markus Hertzsch
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