von Anna Lena Gangluff
Leseprobe aus dem BOGENSPORT MAGAZIN Ausgabe 3/2021
7 Uhr am Morgen. Der Wecker klingelt. Für viele von uns beginnt der Tag morgens recht früh. Wir stehen auf, starten mit einem Kaffee in den Tag, frühstücken eine Kleinigkeit und ab zur Arbeit. Wir gehen für einige Stunden unserem Beruf nach, mittags gibt es eine Pause. Am Abend kommen wir oft erschöpft nach Hause, und während wir uns einfach nur noch ausruhen wollen, fällt uns ein: Ich wollte eigentlich noch trainieren!
In diesem Artikel erzählen uns drei bekannte Bogenschützen von ihrem Beruf, ihrem Alltag, und wie sie das Ganze noch mit dem Training verbinden können. Und sie geben wertvolle Tipps, die uns dabei helfen können, unseren eigenen Tagesablauf besser zu strukturieren.
Den Start macht der Nationalkaderathlet Max Weckmüller. Er ist seit dem 1. November 2020 Berufssportler bei der Bundeswehr. Nebenbei studiert er auch noch Maschinenbau an der Universität Kassel, mit seinem Studium pausiert er aber seit der WM-Saison 2019. Zwar konnte er im letzten Jahr durch die Turnierabsagen wieder teilweise sein Studium aufnehmen, ein Vollzeitstudium passte aber noch immer nicht in den Zeitplan des ambitionierten Sportlers. Das wäre erst nach Olympia wieder eine Option. Aktuell kann er also in Vollzeit als Sportler aktiv sein, was optimal für seine Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist. Denn momentan haben die deutschen Männer noch keinen Quotenplatz. Sollten sie aber noch einen oder sogar mehrere Plätze für sich gewinnen, hat Max gute Chancen, in Tokio für das deutsche Team an den Start zu gehen.

Optimale Trainingsvoraussetzungen werden ihm von der Bundeswehr geboten, bei der er nur einmal im Monat in der Kaserne vor Ort sein muss. Die restliche Zeit steht ihm frei zur Verfügung, und er kann somit optimal seinen Trainingsplan abarbeiten. Solche Arbeitsplätze nennt man Sportförderstellen. Gerade die Bundeswehr zeigt sich als wichtiger Unterstützer von deutschen Sportlern. Spitzensport zeichnet sich vor allem durch einen hohen gesellschaftspolitischen Wert, aber auch in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht aus. Deshalb hat es sich die Bundeswehr zum Ziel gemacht, dass Sportler und Sportlerinnen als Vorbilder und Botschafter ihrer Sportarten wahrgenommen werden.
Wer sich für die Förderung entscheidet, gilt als sogenannter Berufssoldat. Über 850 Stellen hat die Bundeswehr geschaffen, um Sportler zu unterstützen. Und die Zahlen sprechen für sich: Seit 1964 wurden 304 olympische Medaillen von Sportsoldaten errungen.
Ein wenig anders lief es für seine Kaderkollegin Kathi Bauer. Sie hat sich im Jahr 2015 für eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte entschieden. Sie wählte dafür die Krankenkasse der DAK-Gesundheit aus. Während ihrer Ausbildungszeit musste sie mit dem aktiven Bogensport pausieren, da wegen des hohen zeitlichen Aufwands für Lernen und Berufsschule keine Zeit blieb. Dadurch schaffte sie es aber, ihre eigentliche Ausbildungsdauer zu verkürzen. Für sie war danach klar: Entweder kann sie sich mit ihrem Arbeitgeber einigen und eine Lösung finden, um neben der Arbeit als Sportlerin aktiv zu sein, oder sie muss sich einen anderen Job suchen. Sie suchte das Gespräch, und die Krankenkasse garantierte der jungen Bogenschützin volle Unterstützung.

Für Kathi Bauer wurde ein leistungssportfreundlicher Arbeitsplatz geschaffen, bei dem sie verkürzte und vor allem die benötigten flexiblen Arbeitszeiten bekommt, die sie braucht. So kann sie problemlos an Trainingslagern und Wettkämpfen teilnehmen. Zusätzlich ist sie frei von der Urlaubsplanung und kann, wie viele von uns, seit Covid-19 im Homeoffice arbeiten. Das kommt ihrem engen Tagesablauf nochmal zugute, denn sie spart sich den Weg zur Arbeit. Insgesamt arbeitet sie trotzdem etwa 25 bis 30 Stunden pro Woche neben ihrem intensiven Training zur Olympiavorbereitung.
Der Dritte im Bunde ist der Bundesligaschütze Lukas Winkelmeyer. Dieser ist seit einigen Jahren fester Bestandteil des Teams Sherwood BSC Herne, das in der 1. Bundesliga Nord an den Start geht. Sein Berufsweg unterscheidet sich stark von den bisherigen, da er kein Kaderathlet ist. Als Schütze in der 1. Bundesliga muss er aber dennoch, vor allem während der Hallensaison, viel trainieren, um gute Leistungen an den Wettkampftagen zu erzielen. Dabei muss er nicht das hohe wöchentliche Trainingspensum wie beispielsweise Bauer oder Weckmüller erfüllen, weshalb er mehr Zeit in seinen Job investieren kann. Lukas ist gelernter Koch und stellvertretender Betriebsleiter der Hauptmensa des Studierendenwerks Dortmund. Mittlerweile funktioniert das Zusammenspiel von Beruf und Job für ihn sehr gut, da seine Arbeitszeiten, täglich etwa acht Stunden, sich sehr familien- und hobbyfreundlich gestalten lassen. In seinem vorherigen Beruf in der freien Gastronomie war dies viel schwieriger, beinahe kaum umsetzbar. Bevor er in der Gastronomie arbeitete, war Winkelmeyer bei der Bundeswehr tätig. Allerdings handelte es sich nicht um eine Sportförderstelle, wie beispielsweise bei Max Weckmüller. Wegen der langen Arbeitszeiten, auch an Wochenenden, und Aufenthalten im Ausland, wie beispielsweise für 15 Monate auf Sardinien, war es zu dieser Zeit für ihn kaum möglich zu trainieren. Ebenso wenig konnte er an Turnieren teilnehmen. Für ihn kam der Wendepunkt mit seiner Entscheidung, seine Leidenschaft zum Kochen als Beruf auszuüben.

Foto: Volker Wiciok
Neben unserem täglichen Job wollen wir möglichst viel Zeit in unser geliebtes Hobby, den Bogensport, investieren. Daher verraten uns die Schützen ihre Geheimnisse, damit die Tagesplanung auch funktioniert.
1. Erfahrungen nutzen
Da Max Weckmüller bereits durch seinen Arbeitgeber viele Freiheiten hat, lautet sein entscheidender Tipp zur Planung, vor allem der des Trainings, sich nach seinem Gefühl zu orientieren. „Ich kann mich nach dem richten, was ich in den letzten Jahren gelernt habe“, sagte Max. Gerade durch gesammelte Erfahrungen weiß er, wann an welchen Aspekten im Training gearbeitet werden sollte. Wenn der Sportler einmal nicht weiter weiß, fragt er seinen Trainer um Rat. Ein weiterer Tipp von ihm ist Spontanität. Man sollte auf sich selbst hören und entscheiden, wie man sich an dem Tag fühlt. Hat man einen schlechten Tag, an dem nichts passt oder funktioniert, sollte man auch nichts erzwingen. Das kann zu Frustration führen. Erwischt man aber einen sehr guten Tag, an dem alles stimmt, kann man dies immer nutzen, um auch mal mehr zu machen, als man sich an diesem Tag ursprünglich vorgenommen hat.
2. Standortwahl
Auch von Lukas Winkelmeyer kommt ein Hinweis, den viele oft übersehen: die Standortwahl. Natürlich wissen wir alle, dass es nicht jeden Job mal eben an jeder Ecke gibt, aber trotzdem lohnt es sich, hier drüber nachzudenken. „Mein Arbeitsplatz liegt nur fünf Minuten von dem Trainingsplatz in Dortmund entfernt“, erzählt Lukas. Weil natürlich nicht jeder in dieser Position ist und sein kann, kann man sich aber trotzdem Gedanken darüber machen, ob man sich nicht eine Trainingsmöglichkeit zu Hause einrichten kann. Viele Schützen haben zu Hause eine Scheibe, was ihnen Flexibilität in ihrer Planung bietet. Auch wenn man sehr lange Strecken zu seinem Arbeitsplatz fahren muss, lohnt es sich, mal zu schauen, ob auf dem Weg nicht zufällig ein Verein mit Trainingsgelände liegt, bei dem man als Gastschütze ab und zu nach der Arbeit vorbeischauen kann. Darüber hinaus bieten auch einige Bogenläden die Möglichkeit, vor Ort zu trainieren. Es muss also nicht immer der eine, ganz bestimmte Ort sein.
3. Prioritäten setzen
Der dritte Ratschlag für eine gelungene Planung und Struktur im Alltag kommt von Kathi Bauer, denn sie plant bereits an Wochenenden ihre kommenden Wochen. Dabei spielen zum Beispiel Aspekte wie der Wetterbericht der kommenden Tage eine Rolle. Basierend auf ihren Vorhaben legt sie Prioritäten fest. Da sie mit einem festgelegten Trainingsplan trainiert, so wie Max, nimmt dieser natürlich auch einen großen Anteil ihrer Planung ein. Muss sie beispielsweise in der kommenden Woche viele Pfeile schießen, lautet Prio A: Schießen. Prio B wäre dann zum Beispiel Krafttraining, gefolgt von Ausdauertraining. Eine ganz wichtige Priorität von Katharina, die sich jeder zu Herzen nehmen sollte, ist „me-time“. Gerade in der heutigen Zeit dreht sich unser ganzer Tag um den Job, vielleicht auch um unsere Kinder, die Leute um uns herum, und bei all dem Trubel vergessen wir ganz oft die wichtigste Person: nämlich uns selbst. Eine bewusste Auszeit für sich selbst nehmen und diese so gestalten, dass man sich entspannen und Kraft tanken kann, wird von vielen unterschätzt und vernachlässigt. Das können zum Beispiel drei Stunden am Tag sein, die man sich bewusst nimmt, um ein Buch zu lesen. Katharina Bauer nennt als Beispiel, abends was mit Freunden zu unternehmen. „Wenn ich an drei Tagen als höchste Prio Schießen habe, nutze ich den vierten Tag für mich persönlich und plane als Prio me-time. Ich plane, mich abends mit Freunden zu treffen, und dementsprechend muss das Training bis dann auch fertig sein“, erklärte sie.
4. Bewusste Pausen
Vor allem durch die Corona-Pandemie wurde unser oft stressiger und hektischer Alltag schon entschleunigt, wenn auch ungewollt. Trotzdem zeigen Studien, dass viele Menschen zunehmend das Gefühl haben, zu wenig Zeit zu haben. Natürlich sollte man seine Ziele verfolgen und Zeit investieren, aber dennoch sollte man eine Balance finden. Bei vielen verschwimmen nämlich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. Sei es dann mal der kleine Luxus, für eine Stunde sein Handy auszuschalten, nicht 24/7 erreichbar zu sein und sich eine Pause zu gönnen. Bei einigen löst das Wort „Pause“ oft schon eine Art Panik aus, denn sie haben ja doch noch so viel zu tun, und der Tag hat nur 24 Stunden. Aber: Pausen sind enorm wichtig. Verzichtet man auf sie, wird man unkonzentriert, und Fehler unterlaufen. Dies hat dann zur Folge, dass man noch mehr Zeit aufwenden muss, um die Fehler wieder zu korrigieren. Man erkennt einen deutlichen Teufelskreis. Dabei können bereits kleine Pausen, wie mal vom Schreibtisch aufstehen, um einen Kaffee zu kochen, oder zwischen Meetings und Terminen mal eine Runde um den Block gehen, helfen, um neue Kraft zu sammeln.
5. To-Do-Listen
Gerade für die, denen es schwerfällt, ihren Alltag, ihre Aufgaben und ihre Termine zu planen und zu koordinieren, oder für die, die damit anfangen wollen, noch ein alter, aber sehr bewährter Tipp von mir: To-Do-Listen. Und dazu gehört nicht nur, sich Gedanken zu machen über alles, was ansteht, was man erledigen will oder muss, sondern diese Gedanken auch wirklich aufzuschreiben. Das entlastet den Kopf, und man kann auch nichts vergessen. Größere Projekte sollte man in kleinere Schritte aufteilen, und auch die bereits angesprochene Zeit für sich selbst gehört unbedingt auf diese Liste. Man kann solche Listen auf dem Smartphone erstellen oder handschriftlich auf Zetteln, in Notizbüchern oder direkt im Kalender. Einen kleinen Vorteil bieten die analogen Listen nämlich: Man kann ganz bewusst abhaken oder durchstreichen, was man erledigt hat. Dadurch macht man seinen eigenen Fortschritt sichtbar, und gleichzeitig motiviert es einen, denn man bekommt das Gefühl vermittelt von „Ich habe etwas geschafft“. Beachten sollte man aber immer: realistische Ziele setzen. Nimmt man sich zu viel vor und scheitert dann daran, ist das viel schlechter für uns und unsere Stimmung, als wenn wir in kleinen Schritten nach und nach Erfolge erzielen.
Motivation sollte hier immer beachtet werden. Unsere Schützen liefern auch hier wertvolle Tipps zur Anregung.
1. Mit Freunden trainieren und gemeinsame Ziele verfolgen
Gerade für Lukas Winkelmeyer ist es motivierend, nach einem langen Arbeitstag nochmal zum Training zu fahren. „Nach der Arbeit ist es für mich definitiv Entspannung“, erzählt er, „gerade im Sommer in kurzer Hose die Sonne zu genießen ist einfach perfekt.“ Winkelmeyer beschreibt aber auch etwas, was viele von uns kennen, nämlich den Wechsel von der sonnigen Außensaison in die Hallensaison. „Gerade im Winter, der dunklen Jahreszeit, sieht das schon anders aus mit der Motivation.“ Hier ist es aber wichtig, persönliche Ziele zu setzen, wie er uns verrät. Bei Lukas ist das Ziel, das ihn in den Wintermonaten motiviert, die Bundesliga. Gerade im Team motivieren die Schützen sich gegenseitig. Er scherzt: „Gerade gegen ein schönes Training mit Carlo Schmitz kann man nichts sagen.“ Beide sind enge Freunde und vertreten zusammen Sherwood BSC Herne an der Schießlinie. Neben klaren Zielen, die man sich setzt, sind auch also die Leute, die einem dabei helfen, diese zu erreichen, wichtig. Vor allem Freundschaften im Sport wirken sich positiv auf unsere Motivation aus. Obwohl Bogensport ein Einzelsport ist, sollte man auch Phasen in sein Training einbauen, in denen man nicht nur alleine schießt, denn mit Gleichgesinnten überwindet man seinen inneren Schweinehund direkt viel besser.

2. Begeistert euch durch Abwechslung
„Spaß haben!“, lautet der eindeutige Tipp von Max Weckmüller. Gerade wenn man Probleme hat, sich zu motivieren, tut Abwechslung gut und fördert den Spaßfaktor. Als Beispiel nennt Max einen Wechsel der Bögen. Wenn man Recurve schießt, darauf aber einfach mal keine Lust hat, kann man im Training einfach mal für einen Tag zum Compoundbogen wechseln. Natürlich sofern man die Möglichkeit und die Mittel hat. Eine andere Art der Abwechslung wäre es auch mal, auf einem Parcours zu schießen oder auf andere Auflagen. Solche Kleinigkeiten verhelfen einem schon aus seinem Trott heraus. Die Motivation ergibt sich dann wieder von alleine, und man kann wieder an sein normales Training anknüpfen.
3. Sportkleidung
Ein Ratschlag von Kathi Bauer, bei dem ich ihr zu 100 Prozent zustimmen muss, ist es, gerade wenn man im Homeoffice ist, schon vorher Sportkleidung anzuziehen. Wenn man die Kleidung schon trägt, überwindet man sich viel leichter, sich nach der Arbeit nochmal sportlich zu betätigen. Gerade neue Sportkleidung schreit danach, „eingeweiht“ und benutzt zu werden.

4. Klare Ziele definieren und verfolgen
„Warum mache ich es denn?“, ist eine sehr gute Frage, die Kathi sich nach langen Arbeitstagen stellt. „Ich möchte ja auch was erreichen, und das erreiche ich natürlich nur, wenn ich viel mache oder mehr mache als die andern.“ Sich also immer mal wieder die eigenen Ziele verdeutlichen, regt neben dem eigenen Kampfgeist auch die Motivation an. Auch Max Weckmüller und Lukas Winkelmeyer stimmen diesem Punkt zu. „Wettkämpfe können langfristige Ziele für die eigene Trainingsgestaltung sein. Man hat ein klares Ziel, auf das man hinarbeiten kann“, fügt Max hinzu. Dabei variiert er mit seinen Zielen: Fühlt er sich an einem Tag richtig gut, setzt er sich ein höheres Ziel im Training, eine bestimmte Ringzahl, und solange diese nicht erreicht ist, kann er nicht nach Hause gehen. Er betont aber auch, dass gerade solche Ziele realistisch sein müssen. „Die Ziele sollten auch nicht zu leicht sein, dass man sie mal eben aus den Ärmeln geschüttelt schafft. Es muss schon was sein, wofür man arbeiten muss. Gerade dann bringen Ziele sehr viel Positives“, ergänzt er. Kathi Bauer hat noch ein richtig gutes Konzept, das jeder von uns im Training umsetzen kann: „Pro Woche setze ich gerne zwei kurzfristige Ziele. Erst ein etwas niedrigeres Ergebnis und das zweite höher, damit ich ein Erfolgserlebnis habe, wenn ich das eine schaffe und auf das zweite Ergebnis zusteuere.“
Mit diesem spannenden Einblick haben wir gesehen, wie Sportler Beruf und Sport vereinbaren können und was für tolle Förderkonzepte manche Arbeitgeber ermöglichen. So mancher Leser schafft es mit den Tipps und Tricks bestimmt auch, sich nach einem langen Tag nochmal für das Training zu begeistern.
Sehenswert: Die DAK-Gesundheit hat mit Kathi Bauer bereits mehrere Videos gedreht, eins davon zeigt ihr Leben zwischen Profisport und Karriere. Schaut doch direkt mal rein:
https://www.dak.de/dak/darum-zu-uns/bogenschuetzin-katharina-bauer-2380110.html#/
Von Andreas Lorenz |
Als „Mann vor Ort“ wirft Andreas Lorenz für das BSM einen Blick hinter die Kulissen
Die Olympischen Spiele in Tokyo haben begonnen, die ersten Medaillen wurden vergeben.
Die Pandemie bestimmt das tägliche Leben. Jeder muss sich täglich beim Gesundheitsamt (die sogenannte OCHA Applikation) melden und ist dadurch im COCOA Ortungssystem jederzeit aufspürbar, wegen eventueller Kreuzkontakte. So muss jeder ein Smartphone bei sich haben, wenn er Teil der Olympischen Spiele sein will.
Man ist jederzeit unter Kontrolle, so werden positive Fälle definitiv begrenzt. Bis nächsten Donnerstag lebe ich immer noch in einer Soft-Quarantäne, habe aber das Glück, dass mein Quartier direkt am Bogenplatz ist, meinem Arbeitsplatz. Ich muss deshalb kein Taxi nehmen, wie andere Kollegen: eine Person pro Taxi! Öffentliche Transportmittel sind nicht erlaubt für Athleten und Funktionäre. Da der Arbeitstag von sieben Uhr morgens bis meist 21.00 Uhr geht, wären bis zu einer Stunde pro Weg im Taxi doch eine Tortur. Soft-Quarantäne bedeutet im Prinzip nur, dass ich nichts ausserhalb der „Bogenmauern“ sehe.
Schlimm ist die eintönige Verpflegung. Seit zehn Tagen esse ich fast nur Bento-Boxen: Das sind vorgefertigte Essensboxen mit japanischen Spezialitäten, die man – im besten Fall – aufwärmen kann. Frühstück, Mittagessen und Abendessen – nur Bento-Boxen. Seit die Spiele begonnen haben, können wir auch die Lounge der VIP-Gäste besuchen, abends. Da gibt es immer ausreichend leckeres Essen, also eine kleine Verbesserung. Den Athleten im Olympischen Dorf geht es viel besser: Sie können fast rund um die Uhr in einem der zahlreichen Restaurants essen, mit Speisen aller Art.
Gestern und vorgestern gab es dann endlich die ersten Medaillen, sogar die Bronzemedaille für die deutschen Bogenmädels, und ich war dabei – wie immer im Bogensport. Ich habe auch unsere Schützinnen durch die Presse- und TV-Zone, die sogenannte Mixed-Zone, dann zur Siegerehrung und schlussendlich zur Pressekonferenz geführt. Nach Silber im Einzel in Rio, nun Bronze mit der Mannschaft!

Für mich war interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Maskenpflicht bei Interviews von Land zu Land gehandhabt wird. Im Olympischen Corona-Regelwerk wird generell die Maske vorgeschrieben, außer beim Essen, Trinken, Schlafen und Interviews im Freien mit mindestens 1,5 Meter Abstand. Der DOSB schreibt vor, die Interviews mit Maske durchzuführen, einige andere Nationalen Olympischen Komitees lassen es den Athleten frei, die meisten informieren ihre Athleten nicht einmal. So war es gestern ein riesiges Kuddelmuddel in der Mixed Zone und die meisten Athleten wussten nicht, was sie machen sollten und behielten im Zweifelsfall die Maske auf. Schade! Denn mit dem gegebenen Abstand sollte man ein Interview ohne Maske machen können. Und die paar Minuten Ruhm sollte man ohne Maske genießen können.
Ein letzter Splitter: Tokio erwartet im Laufe des Tages einen Wirbelsturm … – bin mal gespannt, wie dieser sich auswirken wird. Bogensport ist im Freien und ein Turnier kann – in der Regel – nur unterbrochen werden, wenn es blitzt. Aber es werden bis zu 140 km/h Wind erwartet… mal sehen!
Ich bin definitiv zu einem Schluss gekommen. Diese Spiele könnten von wenigen Ländern der Welt so gut organisiert werden, wie hier in Japan: Deren Mentalität, deren Bereitschaft zu arbeiten, deren Gastfreundschaft sind phänomenal.
Randnotiz aus Tokio (Teil 1): Absolute Kontrolle und doch ein Positiver?Von Andreas Lorenz |
Als „Mann vor Ort“ wirft Andreas Lorenz für das BSM einen Blick hinter die Kulissen
Meine Olympische Reise nach Tokyo Haneda hat am Flughafen Frankfurt begonnen …. Obwohl, das stimmt so nicht!
Die Vorbereitungen waren umfangreich, denn dank CORONA-Maßnahmen waren zwei negative PCR Tests bei einem der wenigen deutschlandweiten zugelassenen Labore vor der Abreise nötig, maximal 96 und 72 Stunden alt!
Es war vorgegeben, sich in den zwei Tracking Apps zu registrieren: „OCHA“ für alle Einreisende und „COCOA“, für alle, die sich in Japan aufhalten. Tracking App und Pflicht: das wurde in Europa und Deutschland heiß diskutiert, ist in Asien aber völlig normal. Für mich kein Problem, denn jede Maßnahme ist meiner Ansicht nach gerechtfertigt, um die Pandemie einzudämmen.
„Ich bin voll geimpft!“ – Fehlanzeige, keine Erleichterungen!
Also ich fliege los und lande nach 11 Stunden in Haneda Airport. Einreiseformalitäten sind bestens organisiert: man wird durch die Olympische Einwanderung gelotst und vor Ort nochmals getestet. Es wird kontrolliert, ob die Tracking Apps laufen – abschalten bedeutet, dass man riskiert, des Landes verwiesen zu werden!
Die Prozedur dauert fast vier(!) Stunden. Dann geht es ins Quartier, direkt im Bogensportkomplex, eine Sportschule – mein Zuhause bis zum Ende des Events. Drei Tage in absoluter Quarantäne! Was das bedeutet? Fenster sind versiegelt, das Essen wird an die Tür geliefert – es wird geklopft und nach einer Minute darf ich öffnen und das Essen reinholen – KEIN Kontakt zu irgendwem! Und im Anschluss? – elf Tage in Quarantäne SOFT, das bedeutet, ich werde das Bogensportgelände erst nach 15 Tagen verlassen können.
Nun zu der in der Überschrift gestellten Frage: Wie kann es dennoch zu positiven Fällen kommen? Gestern ereilte auch mich die Nachricht, im Olympischen Dorf sei ein positiver Corona-Fall gemeldet worden, und zwar eines Funktionärs. In meinen Augen nicht nachvollziehbar! Denn auch das Olympische Dorf ist eine Blase: Wie kann also ein Positiver, der all das gemacht hat, was vorgeschrieben war, es ins Dorf schaffen? Genau das zeigt: auch die aufwändigsten Vorsorgemaßnahmen sind nicht 100% sicher. Trotzdem soll alles getan werden, um so nah wie möglich an die 100% zu kommen! Denn die Spiele müssen stattfinden und sie werden stattfinden.
Randnotiz aus Tokyo (Intro): Ein Erlebnis der anderen Art
Von Stefan Kech |
Zum fünften mal wird Andreas Lorenz bei Olympia dabei sein. Doch die Spiele in Tokyo werden auch für den erfahrenen Bogensport-Experten Neuland und vielleicht sogar zur Selbsterfahrung.
Und da sage noch mal einer, in Zeiten der Globalisierung gleiche sich das weltweite Geschehen an. Blickt man auf die sportlichen Großereignisse allein nur in diesen Wochen, so kann von Gleichheit keine Rede sein. In Wimbledon zeigte Novak Djokovic bei seinem Erfolg erneut, dass er im Tennis das Maß aller Dinge ist. Und das vor ziemlich vollen Zuschauerrängen. Und bei der Fußball-Europameisterschaft weinte ein fast ausverkauftes Wembley-Stadion nach der Niederlage der Engländer gegen die Italiener. Nach Schätzungen sollen es rund 75 000 Fans gewesen sein, die sich, teils mit Gewalt, Einlass in die ehrwürdige Arena verschafften.
Lange hielten sich die Hoffnungen, dass auch die Olympischen Spiele in Tokyo mit Zuschauern über die Bühne gehen können, doch vor wenigen Tagen folgte dann der finale Beschluss: Olympia findet statt, allerdings vor leeren Rängen. Auch keinen einheimischen Fans wird der Zutritt zu den Wettkämpfen gestattet.
Eine Entscheidung, die Andreas Lorenz nachvollziehen kann, die ihn dennoch betrübt. Zum fünften Mal wird er bei Olympischen Spielen für den Weltverband der Bogenschützen dabei sein, doch es wird kaum etwas sein, wie es bisher war. Japan hat sich strenge Corona-Regeln verordnet, die während der Spiele die Bewegungsfreiheit der Athleten und Funktionäre erheblich einschränkt. „Es bleibt nur das Leben in einer engen Blase“, sagt Lorenz, der sich am heutigen Mittwoch in Richtung Tokyo aufmacht.
Nach seiner Ankunft geht es für den ehemaligen Weltklasseschützen direkt vom Flughafen ins Domizil der Bogensportler. Hier, in einer Sportschule, folgt eine dreitägige Quarantäne, in der er das Zimmer nicht verlassen darf. „Auch in der Zeit danach bis zu meiner Abreise werde ich nur die Wettkampfstätte und Wohnanlage sehen“, berichtet Andreas Lorenz. Angesichts dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, eingeschränkten Aussichten, ist der Fachmann froh, nicht zum ersten Mal bei Olympia dabei sein zu dürfen, denn vom viel gepriesenen Flair werde in diesem Jahr nicht allzu viel übrig bleiben.
Die Wettbewerbe der Bogensportler finden vom 23. bis 31. Juli statt, aber bereits am 18. Juli werden die Athleten anreisen. Bis dahin wird Andreas Lorenz mit seinen Mitstreitern das Feld bestellt haben. Bei den vergangenen Spielen betreute er die Athleten. „Ich war für den gesamten Fluss der Sportler verantwortlich“, sagt Lorenz und schiebt gleich noch das Beispiel Fußball als Erklärung hinterher. „So wie dort der Einmarsch der Spieler mit dem Schiedsrichter und dem Ball ins Stadion organisiert wird, müssen auch bei uns Schützen die Abläufe exakt koordiniert werden.“
In Tokyo hat sich sein Aufgabenfeld erweitert, wurde noch anspruchsvoller. Und so wird er als Technical official Supervisor ein gestrenges Auge über das gesamte Geschehen rund um die Wettkämpfe werfen. Vom Schuss selbst bis hin zur Siegerehrung und Dopingkontrolle. „Alle Zeitnehmer, Ergebnisdienste und Kampfrichter unterstehen mir“, skizziert der 49-Jährige die Bedeutung seines Amtes. Doch nicht nur das: Lorenz muss außerdem darauf achten, dass auch die Regeln abseits des Sports eingehalten werden. Und dazu gehören strenge Werbevorschriften. Wohl kaum ein Bereich wird bei Olympia restriktiver gehandhabt als dieser. Nicht weniger als 50 Seiten dick ist laut Andreas Lorenz die Kladde, in der alles fein säuberlich aufgelistet ist. „Kein Sportler darf seine eigenen Sponsoren präsentieren. Selbst die Größe der Logos ist vorgeschrieben.“
Jeweils 64 Frauen und Männer aus 40 Ländern werden in Tokyo die Scheiben ins Visier nehmen. Für Deutschland ist ein Damenteam und bei den Männern Einzelstarter Florian Unruh, der Mann von Lisa Unruh, Silbermedaillengewinnerin von Rio 2016, dabei. „Wir haben also drei von vier Medaillenchancen, in den beiden Einzelkonkurrenzen und im Mixed. Einzig der Teamwettbewerb wird ohne uns stattfinden“, so Lorenz. Seine Tage werden also prall gefüllt sein, doch angesichts der Quarantäne weiß Andreas Lorenz selbst noch nicht so genau, was er in seiner freien Zeit tun wird. Lange hat er gehofft, dass doch Zuschauer zugelassen werden, „zumal es in Tokyo sicherlich nicht so chaotisch zugegangen wäre wie nun gerade eben in Wembley beim Fußball.“ Weder singen, schreien noch Applaus wären in den olympischen Wettkampfstätten erlaubt gewesen.
Nun wird der Verkaufsleiter für Bogensport-Equipment auf leere Ränge im 10 000 Zuschauer fassenden Stadion blicken. „Angesichts der gesamten Konstellation kann ich mir nicht vorstellen, wie hier olympisches Feeling aufkommen soll“, stöhnt Andreas Lorenz. Der Austausch mit anderen Sportler, das Erlebnis, andere Disziplinen hautnah zu sehen, werde fehlen. Und dennoch: Er freut sich auf das Großereignis. „Ich bin zu 100 Prozent ein Befürworter der Spiele, selbst unter diesen Bedingungen“, stellt er klar, „denn ohne Olympia stirbt jede kleine Sporart.“ Die Verbände lebten von den Fernsehgeldern, und diese seien für Randsportarten fast nur bei Olympia zu generieren. Und das Wichtigste überhaupt: „Wir werden tollen Sport sehen.“ Auch die Athleten selbst sollten sich nicht betrübt in den Fernen Osten aufmachen oder sich gar entmutigen lassen. „Ich habe ihnen gesagt, sie hätten nicht nur für Tokyo trainiert, sondern dies sei ein Weg für die nächsten Spiele in Paris in drei Jahren.“
In Athen 2004 erlebte Andreas Lorenz zum ersten Mal Olympia vor Ort, damals noch als freiwilliger Helfer. Anschließend gehörte er bei den Spielen in Peking, London und Rio in offizieller Funktion dazu. Tokyo kennt er ebenfalls, viermal schon weilte er bei Weltcups oder aus geschäftlichen Gründen in der mit fast 38 Millionen Menschen größten Stadt der Welt.
Vor zwei Jahren erst reiste er zudem mit Sohn Leon in die Metropole, der sich wie einst der Vater als freiwilliger Helfer einbringen wollte. Es ging damals um die Planungen für Olympia 2020, das wegen Corona nun zu Olympia 2021 geworden ist. Die Reise wird der Vater nun allerdings allein antreten, denn wegen der Pandemie müsste der Sohn, der als „Freiwilliger“ Flug und Hotel selbst zu bezahlen hat, gleich auch noch zwei Wochen zusätzlichen (Quarantäne-)Urlaub nehmen. „Das wollte er nachvollziehbarerweise nicht, wie übrigens die meisten freiwilligen Helfer, die angesichts dieser Konstellation abgesagt haben“, erzählt der Dauchinger.
Auch wenn er sein Zimmer in der Sportschule wohl besser kennen lernen wird, als ihm eigentlich lieb ist, lässt sich Andreas Lorenz in seiner Liebe zu diesem Sport nicht bremsen, und so wird er nach seiner Rückkehr nur wenige Wochen später erneut nach Tokyo reisen. „Ich werde bei den Paralympics im August ebenfalls wieder in meiner Funktion dabei sein.“
Krüger-Champions nominiert für Tokio – Poster im Online-ShopPRESSEMITTEILUNG: Wir freuen uns sehr, dass alle aktiven Sportler, die von Krüger unterstützt werden, ihren Weg zu den Olympischen Spielen in Tokio gemacht haben. Zu den Pistolenschützen Christian Reitz und Monika Karsch, deren Nominierung schon seit Wochen bekannt ist, wurde aktuell noch unser Bogen-Traumpaar Lisa und Florian Unruh für Tokio nominiert.
Wir drücken allen Sportlern des Deutschen Teams die Daumen und hoffen auf deren Erfolg.
Wer Lisa & Florian unterstützen will, findet sein Fan-Poster (70 x 50 cm) in unserem Onlineshop: www.krueger-scheiben.de
(Quelle: Pressemitteilung der Krüger Druck+Verlag GmbH & Co. KG)
Im fünften Teil unserer Artikelserie zu den skizzierten Trainingseinheiten für Vereine steht in erster Linie die Arbeit am Equipment im Vordergrund. Das Ziel der Trainingseinheit ist es, die Vereinsmitglieder zu schulen, die Grundeinstellungen ihrer Sportbögen zu prüfen und – wenn es erforderlich ist – Einstellungen zu korrigieren. Zudem werden auf einem Erfassungsblatt wichtige Einstellungen sowie Merkmale des Equipments notiert.
Das PDF des gesamten Fachartikels können Sie gegen eine Bezugsgebühr von 1,90 Euro unter der Rubrik „Fachartikel“ herunterladen. Wenn Ihnen als Leser*in unserer Printausgabe nur noch der dort beschriebene Erfassungsbogen fehlt, können Sie diesen unter diesem Link kostenlos herunterladen.
Mystic Pines – mystische WälderText: Vincent McLean, übersetzt aus dem Englischen von Anne Dohrmann
Fotos: Vincent McLean, Trey Schlichting und Liz Velichko
Allein der Name zeichnet Bilder von Abenteuern vor meinem inneren Auge, während ich der Straße in die Berge von New Mexico folge. Sie führte mich bereits vorbei an der Wüstenstadt Las Vegas, doch nun bin ich schon lange fern jeglicher Zivilisation und tauche immer tiefer ein in die Wildnis. Was ich in dieser Einsamkeit zu finden hoffe, ist ein Trainingskomplex der „World Horseback Archery Federation (WHAF)“ für das berittene Bogenschießen. Ich habe schon viele aufregende Geschichten von diesem Ort gehört und kann es kaum erwarten, ihn endlich selbst zu erkunden.
Doch ich bin nicht der einzige Besucher, denn an diesem Wochenende findet hier ein privater Wettkampf statt. Eine sorgfältig limitierte Anzahl an Teilnehmern ist bereits vor Ort und bereitet sich auf die Veranstaltung vor. Es herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Wegen der Pandemie waren Events dieser Art lange kaum möglich. Die Freude und Erleichterung der Bogenschützen, nun endlich wieder aktiv sein zu können, ist offensichtlich. Respektvoll halten sie Abstand und achten auf Sicherheit für sich und ihre Mitmenschen.
Voller Konzentration galoppieren die SportlerInnen die Wettkampfbahnen entlang und schießen blitzschnell ihre Pfeile auf die zahlreichen Ziele. Ich hingegen schieße nur Bilder und genieße die eindrucksvolle Szenerie.
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
- Bild: Vincent McLean
Hunter Matthews, 21, aus Mora (New Mexiko) wird stolzer Sieger in der Gesamtwertung. Erst seit weniger als sechs Monaten reitet und schießt er unter der Anleitung von Trey Schlichting, dem Eigentümer von Mystic Pines.
Das Abenteuer endet jedoch nicht mit dem Wettkampf! Unser Gastgeber Trey lädt uns auf eine Wanderung in die Berge ein, um dort auf originelle Ziele wie aufgehängte Milchkanister zu schießen. Außerdem zeigt er uns den Gong-Pfad: Hier schießt man mit Metallspitzen auf bronzene Klangscheiben, die zwischen den Bäumen baumeln und bei einem Treffer ein genüssliches Klingeln durch den Wald schallen lassen.
Trotz der Freude an dieser Bogenschießeinheit der besonderen Art müssen wir uns häufig Pausen zugestehen. Unsere Muskeln sind die Bedingungen von 2.900 Höhenmetern nicht gewohnt, und der Aufstieg ist anstrengend und langsam. Ich bin etwas ernüchtert, in meiner Vorstellung hatte ich noch eine ganz ansehnliche Kondition. Keuchend frage ich Trey, ob diese Höhe auch einen Effekt auf Pferde hat.
„Pferde, die zum ersten Mal in diese hohe Lage gebracht werden, können sich innerhalb von drei bis vier Tagen daran anpassen. Als Beutetiere haben sie die Fähigkeit, große Mengen von roten Blutzellen, die in der Milz gespeichert sind, bei Belastung in den Kreislauf zu entlassen. Das ist zum Beispiel bei niedrigen Sauerstoffkonzentrationen oder bei körperlicher Arbeit der Fall. Durch Training oder den Aufenthalt in hohen Gegenden kann dieser Effekt sogar noch verstärkt werden. Im Normalfall sind die Pferde, die für das berittene Bogenschießen genutzt werden, Athleten und in bester Kondition. Deswegen können sie sich in wenigen Tagen an die Höhe gewöhnen, wohingegen wir Menschen dafür einige Wochen oder bis zu einem Jahr brauchen“, antwortet er.
Eine der Glücklichen, die während des Lockdowns in „Mystic Pines“ trainieren konnte, ist Sarah Velilchko. Sie war als Garderoben-Managerin mit dem berühmten Musical „Hamilton“ auf Tour, bevor die Pandemie das kulturelle Leben lähmte. Jetzt, da sie sich bestens auf dem Gelände auskennt, führt sie mich durch tiefe Schluchten zu einem spektakulären Jagd-Trail. Über zwanzig lebensgroße 3D-Tiere aus Gummi verschmelzen mit den dunklen Schatten der thronenden Nadelbäume. Als wir auf dem Pfad entlang schleichen, den Bogen immer griffbereit, stoßen wir schließlich auf mein neues Lieblingsziel: Ein 3D-Eber ist mit einer Drahtkonstruktion zwischen den Bäumen aufgehängt. Bei Betätigung eines Hebels saust er den Hang hinab, so dass man meinen könnte, er würde tatsächlich rennen. Intuition und Geschwindigkeit sind nötig, um dieses Ziel zu treffen, und machen es zu einer spannenden Herausforderung.
„Meine Zeit hier in Mystic Pines war eine echte Erholung für die Seele“, strahlt meine Führerin Sarah, während sie sicher ihre Pfeile in den Zielen versenkt. Besonders fasziniert ist sie von der Kombination von Bogenschießen und Reiten. „Das Gefühl, über eine weite Ebene zu galoppieren, mit dem Bogen in der Hand, inmitten von atemberaubender Landschaft und umgeben von gleichgesinnten Freunden, ist einfach unvergleichbar.“
Schon von Ferne weht uns der köstliche Duft von frischer New-Mexiko-Küche entgegen, als wir zurück zur Farm laufen. Clebert Garcia aus Albuquerque, NM, hat einen waschechten Cowboy-style Leckerbissen für uns vorbereitet: mexikanischen Eintopf mit würzigen Teigtaschen. Während wir zusammen das köstliche Abendessen genießen, tauschen wir angeregt teils spannende, teils witzige Geschichten und auch tiefere Gedanken über das berittene Bogenschießen und „Mystic Pines“ aus.
Clebert Garcia, unser fantastischer Koch, arbeitet als Stunt-Reiter in Filmen und ist außerdem Darsteller bei großen „Old West“ oder „Civil War“-Inszenierungen. Erst seit zwei Jahren macht er auch berittenes Bogenschießen. Bemerkenswert ist dabei, dass er all dies trotz einer Autoimmunerkrankung, bei der der Körper seine eigenen Gelenke attackiert, bewältigt. „Ich lebe mit ständigem Schmerz in allen meinen Gelenken. Jede einzelne meiner Bandscheiben ist degeneriert. Darum hat es für mich die größte Priorität, aktiv zu bleiben. Das berittene Bogenschießen hilft mir dabei sehr. Man muss einen kühlen Kopf bewahren, ruhig bleiben, mit dem Körper ständig wachsam, aber auch entspannt sein. Der dadurch eintretende Zen-Effekt lässt mich den Schmerz für eine Weile vergessen. Ich spreche normalerweise nicht über so persönliche Dinge. Aber ich tue es gerne, wenn ich dadurch jemanden dazu ermutigen kann, einen Sport auszuprobieren, auch wenn er die eigenen physischen Fähigkeiten zu übersteigen scheint. Einfach mal versuchen, es könnte eine echte Überraschung werden!“
Die jüngste Teilnehmerin, Annabelle (12), ist zum ersten Mal bei einem Turnier dabei. Ihre Mutter nahm mit ihr schon mehrfach den weiten Weg aus Austin, Texas, bis nach „Mystic Pines“ auf sich. Jede Fahrt dauert mehr als 13 Stunden. Annabelle erzählt mir: „Mystic Pines ist mein Lieblingsort – hier bin ich glücklich! Es ist eine perfekte Kombination von Schönheit, Freundschaft, Spaß, und natürlich dem unglaublich wertvollen Training, das mich jedes Mal an meine Grenzen bringt.“
Isabella Baratti (16) aus San Diego, Kalifornien, trainiert mit Trey Schlichting seit nun fast vier Jahren. Den letzten Monat hat sie komplett auf seiner Farm verbracht. „Trey ist ein großartiger Mentor für Isabella. Sie hat so viele tolle Erinnerungen gesammelt, bei der Arbeit auf der Ranch, beim Training und mit ihren Freunden hier. Sie kann die nächsten Ferien kaum erwarten, um wieder zurückkommen zu können“, erzählt mir ihre Mutter Junie.
Treys Schülerin Gracie Allee Ledoux begann mit 14 Jahren, berittenes Bogenschießen zu trainieren. Dank ihres Talents und vor allem ihrer Entschlossenheit und Leidenschaft für den Sport hat sie schnell ein hohes Können erreicht. Heute ist sie 18 Jahre alt und gibt selbst Kurse und Unterricht im berittenen Bogenschießen. Als ich sie zu ihrem Eindruck von der Farm frage, antwortet sie: „Mystic Pines ist mein Zuhause. Ich verbinde damit meine wunderbaren Freunde, Pferde und die großartige Aussicht von den Bergen mit dem Duft des Waldes.“
Trey Schlichting, der Gründer von „Mystic Pines“, ist ein Quell der Weisheit bezüglich des modernen Sports und des historischen Hintergrunds des berittenen Bogenschießens. Auf meinen internationalen Reisen für das berittene Bogenschießen habe ich ihn schon mehrfach getroffen. Auf die Frage hin, warum er sich entschied, an genau diesem Ort hier sesshaft zu werden, meint er: „Hier in Mystic Pines werden meine Träume wahr. Es gibt hier so eine magische, heilsame Atmosphäre, wegen der schneebedeckten Berge und der Wälder. Hier kann ich reiten, schießen und diese Leidenschaft mit Sportlern aus der ganzen Welt teilen.“
Gelächter und Scherze begleiten den Abend, während Kristin, Treys bezaubernde Ehefrau, uns ein altes koreanisches Spiel namens „Yut Nori“ beibringt. Es lebt von einer gewieften Kombination von Strategie, Glück und Heuchlerei. Nach diesem intensiven Tag voller Bogenschießen, zu Pferd und zu Fuß, und angeregten Diskussionen ist dieser spielerische Wettstreit genau das richtige, um den Abend fröhlich ausklingen zu lassen.
Der nächste Morgen ist noch ganz frisch, als ich mein Equipment zurück ins Auto packe. Nachdem ich mich mit allen guten Wünschen verabschiedet habe, nehme mir nun einen Augenblick, um die Aussicht auf mich wirken zu lassen. Die schneebedeckten Berge auf der anderen Seite des Tals glitzern im Licht der ersten Sonnenstrahlen. Ich atme tief ein, und trotz der kristallkalten Luft erfüllt mich ein warmes Gefühl der Ruhe.
Es war eine Ehre, in dieses bezaubernde Tal kommen zu können und teilzuhaben an der starken Gemeinschaft von Bogenschützen und ihren Sorgen, Leidenschaften und Träumen. Durch ihre wunderbare Gastfreundschaft ist dieses Erlebnis unvergesslich geworden.
„Mystic Pines“ wird in Zukunft auch Airbnb sowie Zeltplätze anbieten. Für 2021 sind außerdem Trainingseinheiten im Bogenschießen und berittener Kampfkunst für interessierte Gäste geplant. Langfristig soll hier eine Ausbildungsstätte für berittene BogenschützInnen, SchauspielerInnen und Stunt ReiterInnen entstehen.
INFO: Der Wettkampf besteht aus vier verschiedenen Disziplinen
- die „Texanische Jagd“: der Reiter muss sein Pferd selbstständig zu den Zielen lenken, es gibt keine Absperrungen, die ihm dabei helfen. Er darf die Reihenfolge, in denen er die Ziele schießen will, selber bestimmen, aber muss innerhalb des Zeitlimits wieder zurück am Startpunkt sein.
- der „Australische Wettkampf“: Diese Disziplin wurde speziell für Anfänger entwickelt. Zwei Scheiben zeigen entlang einer geraden Strecke in entgegengesetzte Richtungen und bilden so einen Vorwärts- und einen Rückwärtsschuss. Der Reiter darf hier das Tempo selbst entscheiden und bekommt in jedem Fall seine Schusspunkte angerechnet. Das Ziel dieser Disziplin ist es, Treffsicherheit vor Geschwindigkeit zu würdigen.
- ein schwieriger Gelände-Parcours
- ein klassischer ungarischer Wettkampf mit seiner fast meditativen Kontinuität. Neun Läufe auf einer geraden Bahn mit einem einzigen Scheibenturm als Ziel machen diese Disziplin zu einer Herausforderung für Fokus und Ausdauer.
Langeweile im Lockdown? Die schöne Serie im Blog von bogensportdeutschland.de eignet sich keineswegs nur zum Zeitvertreib sondern lädt geradezu zum Stöbern ein. Ob Marken wie HB, Levi’s oder 7up – um nur einige Beispiele zu nennen: Pfeil & Bogen waren offensichtlich schon immer beliebtes Beiwerk, um die unterschiedlichsten Werbebotschaften zu untermauern. Einfach Reinschauen und Durchklicken – es lohnt sich!
TÅRGET – Bauanleitung für einen Scheibenständer mit SystemMan könnte sagen, dass Hartmut Nixdorf vom HC Horn in Bremen den Scheibenständer revolutioniert hat. Er selbst ist jedoch zurückhaltender und betont, dass er sich bei der Konstruktion des TÅRGET lediglich an anderen Scheibenständern orientiert hat.
Hier und da habe er Details angepasst und nach seinen Vorstellungen umgesetzt. Neben den überzeugenden Detaillösungen besticht das Konzept durch eine gute Bauanleitung für diesen Scheibenständer, der selbst die schweren 125er Stramitscheiben trägt. Für den Einkauf aller Teile kam der HC-Horn auf einen Preis von unter 60 Euro für den rollbaren Scheibenständer TÅRGET. Die Bauanleitung für den TÅRGET stellt der Tüftler als PDF-Dokument frei zur Verfügung.
Die Entwicklung des Konzepts begann für Hartmut Nixdorf, als sein Verein neue Scheibenständer benötigte. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügte der HC Horn über dreibeinige Scheibenständer, die bei weichen Scheibenmitten immer wieder dazu beitrugen, dass Pfeile zerbarsten, als sie gegen das in der Scheibenmitte platzierte hintere Standbein schlugen. Die neuen Scheibenständer sollten dieses Manko beseitigen und wurden daher mit vier Standbeinen ausgestattet.
Den gesamten Artikel finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe, die Bauanleitung für der TÅRGET-Scheibenständer können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.
BOGENSPORT MAGAZIN Ausgabe 2/2021 – EditorialLiebe Leserinnen, liebe Leser,
ja, es gibt sie noch bzw. wieder, die großen Wettkämpfe im Rahmen der Archery World Series – zum Glück! Und nein, es ist nicht (mehr) so, wie man es vor Corona kannte. Statt ausgelassener Wettkampfstimmung sind es nun die Hygiene- und Distanzbestimmungen, die den Events ihren Stempel aufdrücken. Sie können beim Lesen dieser Zeilen auch eine Spur Wehmut erkennen? Stimmt. So hatte ich im Januar letzten Jahres das Vergnügen – und es war wirklich eines – das Nîmes Archery Tournament persönlich mitzuerleben. Um die Atmosphäre rund 12 Monate später zu beschreiben, hat der Niederländer Mike Schloesser die wahrscheinlich passendsten Worte gefunden: „Es ist wirklich ruhig – ich kann mich selbst denken hören … das ist nicht gut.“
Mit der Bitte, mir dieses leicht nostalgische Intro nachzusehen, komme ich nun zum Positiven. Die erste Themenbesprechung für die aktuelle Ausgabe des BSM brachte auch die erhoffte Gewissheit: Nach der langen Zeit der „Trockenübungen“ und der eher theoretisch anmutenden Trainings-Tipps haben wir nun endlich wieder Wettkampfsport im Blatt. Neben dem ausführlichen Bericht aus Nîmes fassen unsere Autoren Günter Kuhr und Chris Wells auch das Turniergeschehen der letzten Etappe der Indoor Archery World Series und des Team-Wettbewerbs zusammen. Mit der Zuversicht, dass der Weg in die Normalität, wenn auch mit angezogener Handbremse, wieder in Angriff genommen werden kann, sei an dieser Stelle Lisa Unruh zitiert: „Es war so schön, hier zu sein, hier zu schießen, diese Emotionen zu haben, das Gefühl des Wettkampfs. Ich bin wirklich glücklich.“ Unruh konnte übrigens den Recurve-Wettbewerb der Damen für sich entscheiden, nicht zuletzt aus diesem Grunde: Glückwunsch liebe Lisa, das BSM-Team gratuliert von Herzen.
Von einem Turnier der ganz besonderen Art berichtet Vincent McLean. Malerisch in den Bergen Mexicos gelegen, ist „Mystic Pines“ der Austragungsort eines urtümlichen Wettkampfes im berittenen Bogenschießen. Gepaart mit eindrücklich beschriebenen Reiseimpressionen lassen Text und Bilder ein Gefühl durchflackern, auf das wir schon viel zu lange verzichten mussten: die Lust aufs Reisen. Selbstredend, dass auch diese Tour unter den obligatorischen Hygienebedingungen stattgefunden hat. Immerhin – und nicht zuletzt auch, weil Bogensport eine Disziplin ist, die unter freiem Himmel und Einhaltung der nötigen Distanz ausgeübt werden kann. Ein Riesenvorteil!
Dass unser Autor Andreas Philipp seine Bogen-Leidenschaft für die Feld- und 3D-Disziplinen entdeckt hat, dürfte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Keine Frage, auch dieser Weg verlief nicht immer geradeaus und Erfolgserlebnisse haben auch mal auf sich warten lassen. Wetten, dass Sie sich bei der Lektüre des bogensportlichen Werdegangs unseres Autors das ein oder andere Schmunzeln nicht verkneifen können? Zu vertraut erscheinen all die vielen Fragen, denen sich wahrscheinlich alle irgendwann einmal stellen müssen …
Liebe Leserinnen und Leser, nicht nur das, sondern noch viel mehr gibt es in dieser Ausgabe des BOGENSPORT MAGAZIN zu entdecken. Wir wünschen wie immer eine informative und anregende Lektüre.
Herzlichst,
Ihr Axel Ziegler












