12.08.2021

Das Zeit-Management der Profis

von Anna Lena Gangluff
Leseprobe aus dem BOGENSPORT MAGAZIN Ausgabe 3/2021

7 Uhr am Morgen. Der Wecker klingelt. Für viele von uns beginnt der Tag morgens recht früh. Wir stehen auf, starten mit einem Kaffee in den Tag, frühstücken eine Kleinigkeit und ab zur Arbeit. Wir gehen für einige Stunden unserem Beruf nach, mittags gibt es eine Pause. Am Abend kommen wir oft erschöpft nach Hause, und während wir uns einfach nur noch ausruhen wollen, fällt uns ein: Ich wollte eigentlich noch trainieren!

In diesem Artikel erzählen uns drei bekannte Bogenschützen von ihrem Beruf, ihrem Alltag, und wie sie das Ganze noch mit dem Training verbinden können. Und sie geben wertvolle Tipps, die uns dabei helfen können, unseren eigenen Tagesablauf besser zu strukturieren.

Den Start macht der Nationalkaderathlet Max Weckmüller. Er ist seit dem 1. November 2020 Berufssportler bei der Bundeswehr. Nebenbei studiert er auch noch Maschinenbau an der Universität Kassel, mit seinem Studium pausiert er aber seit der WM-Saison 2019. Zwar konnte er im letzten Jahr durch die Turnierabsagen wieder teilweise sein Studium aufnehmen, ein Vollzeitstudium passte aber noch immer nicht in den Zeitplan des ambitionierten Sportlers. Das wäre erst nach Olympia wieder eine Option. Aktuell kann er also in Vollzeit als Sportler aktiv sein, was optimal für seine Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist. Denn momentan haben die deutschen Männer noch keinen Quotenplatz. Sollten sie aber noch einen oder sogar mehrere Plätze für sich gewinnen, hat Max gute Chancen, in Tokio für das deutsche Team an den Start zu gehen.

Optimale Trainingsvoraussetzungen werden ihm von der Bundeswehr geboten, bei der er nur einmal im Monat in der Kaserne vor Ort sein muss. Die restliche Zeit steht ihm frei zur Verfügung, und er kann somit optimal seinen Trainingsplan abarbeiten. Solche Arbeitsplätze nennt man Sportförderstellen. Gerade die Bundeswehr zeigt sich als wichtiger Unterstützer von deutschen Sportlern. Spitzensport zeichnet sich vor allem durch einen hohen gesellschaftspolitischen Wert, aber auch in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht aus. Deshalb hat es sich die Bundeswehr zum Ziel gemacht, dass Sportler und Sportlerinnen als Vorbilder und Botschafter ihrer Sportarten wahrgenommen werden.

Wer sich für die Förderung entscheidet, gilt als sogenannter Berufssoldat. Über 850 Stellen hat die Bundeswehr geschaffen, um Sportler zu unterstützen. Und die Zahlen sprechen für sich: Seit 1964 wurden 304 olympische Medaillen von Sportsoldaten errungen.

Ein wenig anders lief es für seine Kaderkollegin Kathi Bauer. Sie hat sich im Jahr 2015 für eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte entschieden. Sie wählte dafür die Krankenkasse der DAK-Gesundheit aus. Während ihrer Ausbildungszeit musste sie mit dem aktiven Bogensport pausieren, da wegen des hohen zeitlichen Aufwands für Lernen und Berufsschule keine Zeit blieb. Dadurch schaffte sie es aber, ihre eigentliche Ausbildungsdauer zu verkürzen. Für sie war danach klar: Entweder kann sie sich mit ihrem Arbeitgeber einigen und eine Lösung finden, um neben der Arbeit als Sportlerin aktiv zu sein, oder sie muss sich einen anderen Job suchen. Sie suchte das Gespräch, und die Krankenkasse garantierte der jungen Bogenschützin volle Unterstützung.

Für Kathi Bauer wurde ein leistungssportfreundlicher Arbeitsplatz geschaffen, bei dem sie verkürzte und vor allem die benötigten flexiblen Arbeitszeiten bekommt, die sie braucht. So kann sie problemlos an Trainingslagern und Wettkämpfen teilnehmen. Zusätzlich ist sie frei von der Urlaubsplanung und kann, wie viele von uns, seit Covid-19 im Homeoffice arbeiten. Das kommt ihrem engen Tagesablauf nochmal zugute, denn sie spart sich den Weg zur Arbeit. Insgesamt arbeitet sie trotzdem etwa 25 bis 30 Stunden pro Woche neben ihrem intensiven Training zur Olympiavorbereitung.

Der Dritte im Bunde ist der Bundesligaschütze Lukas Winkelmeyer. Dieser ist seit einigen Jahren fester Bestandteil des Teams Sherwood BSC Herne, das in der 1. Bundesliga Nord an den Start geht. Sein Berufsweg unterscheidet sich stark von den bisherigen, da er kein Kaderathlet ist. Als Schütze in der 1. Bundesliga muss er aber dennoch, vor allem während der Hallensaison, viel trainieren, um gute Leistungen an den Wettkampftagen zu erzielen. Dabei muss er nicht das hohe wöchentliche Trainingspensum wie beispielsweise Bauer oder Weckmüller erfüllen, weshalb er mehr Zeit in seinen Job investieren kann. Lukas ist gelernter Koch und stellvertretender Betriebsleiter der Hauptmensa des Studierendenwerks Dortmund. Mittlerweile funktioniert das Zusammenspiel von Beruf und Job für ihn sehr gut, da seine Arbeitszeiten, täglich etwa acht Stunden, sich sehr familien- und hobbyfreundlich gestalten lassen. In seinem vorherigen Beruf in der freien Gastronomie war dies viel schwieriger, beinahe kaum umsetzbar. Bevor er in der Gastronomie arbeitete, war Winkelmeyer bei der Bundeswehr tätig. Allerdings handelte es sich nicht um eine Sportförderstelle, wie beispielsweise bei Max Weckmüller. Wegen der langen Arbeitszeiten, auch an Wochenenden, und Aufenthalten im Ausland, wie beispielsweise für 15 Monate auf Sardinien, war es zu dieser Zeit für ihn kaum möglich zu trainieren. Ebenso wenig konnte er an Turnieren teilnehmen. Für ihn kam der Wendepunkt mit seiner Entscheidung, seine Leidenschaft zum Kochen als Beruf auszuüben.

Foto: Volker Wiciok

Neben unserem täglichen Job wollen wir möglichst viel Zeit in unser geliebtes Hobby, den Bogensport, investieren. Daher verraten uns die Schützen ihre Geheimnisse, damit die Tagesplanung auch funktioniert.

1. Erfahrungen nutzen
Da Max Weckmüller bereits durch seinen Arbeitgeber viele Freiheiten hat, lautet sein entscheidender Tipp zur Planung, vor allem der des Trainings, sich nach seinem Gefühl zu orientieren. „Ich kann mich nach dem richten, was ich in den letzten Jahren gelernt habe“, sagte Max. Gerade durch gesammelte Erfahrungen weiß er, wann an welchen Aspekten im Training gearbeitet werden sollte. Wenn der Sportler einmal nicht weiter weiß, fragt er seinen Trainer um Rat. Ein weiterer Tipp von ihm ist Spontanität. Man sollte auf sich selbst hören und entscheiden, wie man sich an dem Tag fühlt. Hat man einen schlechten Tag, an dem nichts passt oder funktioniert, sollte man auch nichts erzwingen. Das kann zu Frustration führen. Erwischt man aber einen sehr guten Tag, an dem alles stimmt, kann man dies immer nutzen, um auch mal mehr zu machen, als man sich an diesem Tag ursprünglich vorgenommen hat.

2. Standortwahl
Auch von Lukas Winkelmeyer kommt ein Hinweis, den viele oft übersehen: die Standortwahl. Natürlich wissen wir alle, dass es nicht jeden Job mal eben an jeder Ecke gibt, aber trotzdem lohnt es sich, hier drüber nachzudenken. „Mein Arbeitsplatz liegt nur fünf Minuten von dem Trainingsplatz in Dortmund entfernt“, erzählt Lukas. Weil natürlich nicht jeder in dieser Position ist und sein kann, kann man sich aber trotzdem Gedanken darüber machen, ob man sich nicht eine Trainingsmöglichkeit zu Hause einrichten kann. Viele Schützen haben zu Hause eine Scheibe, was ihnen Flexibilität in ihrer Planung bietet. Auch wenn man sehr lange Strecken zu seinem Arbeitsplatz fahren muss, lohnt es sich, mal zu schauen, ob auf dem Weg nicht zufällig ein Verein mit Trainingsgelände liegt, bei dem man als Gastschütze ab und zu nach der Arbeit vorbeischauen kann. Darüber hinaus bieten auch einige Bogenläden die Möglichkeit, vor Ort zu trainieren. Es muss also nicht immer der eine, ganz bestimmte Ort sein.

3. Prioritäten setzen
Der dritte Ratschlag für eine gelungene Planung und Struktur im Alltag kommt von Kathi Bauer, denn sie plant bereits an Wochenenden ihre kommenden Wochen. Dabei spielen zum Beispiel Aspekte wie der Wetterbericht der kommenden Tage eine Rolle. Basierend auf ihren Vorhaben legt sie Prioritäten fest. Da sie mit einem festgelegten Trainingsplan trainiert, so wie Max, nimmt dieser natürlich auch einen großen Anteil ihrer Planung ein. Muss sie beispielsweise in der kommenden Woche viele Pfeile schießen, lautet Prio A: Schießen. Prio B wäre dann zum Beispiel Krafttraining, gefolgt von Ausdauertraining. Eine ganz wichtige Priorität von Katharina, die sich jeder zu Herzen nehmen sollte, ist „me-time“. Gerade in der heutigen Zeit dreht sich unser ganzer Tag um den Job, vielleicht auch um unsere Kinder, die Leute um uns herum, und bei all dem Trubel vergessen wir ganz oft die wichtigste Person: nämlich uns selbst. Eine bewusste Auszeit für sich selbst nehmen und diese so gestalten, dass man sich entspannen und Kraft tanken kann, wird von vielen unterschätzt und vernachlässigt. Das können zum Beispiel drei Stunden am Tag sein, die man sich bewusst nimmt, um ein Buch zu lesen. Katharina Bauer nennt als Beispiel, abends was mit Freunden zu unternehmen. „Wenn ich an drei Tagen als höchste Prio Schießen habe, nutze ich den vierten Tag für mich persönlich und plane als Prio me-time. Ich plane, mich abends mit Freunden zu treffen, und dementsprechend muss das Training bis dann auch fertig sein“, erklärte sie.

4. Bewusste Pausen
Vor allem durch die Corona-Pandemie wurde unser oft stressiger und hektischer Alltag schon entschleunigt, wenn auch ungewollt. Trotzdem zeigen Studien, dass viele Menschen zunehmend das Gefühl haben, zu wenig Zeit zu haben. Natürlich sollte man seine Ziele verfolgen und Zeit investieren, aber dennoch sollte man eine Balance finden. Bei vielen verschwimmen nämlich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. Sei es dann mal der kleine Luxus, für eine Stunde sein Handy auszuschalten, nicht 24/7 erreichbar zu sein und sich eine Pause zu gönnen. Bei einigen löst das Wort „Pause“ oft schon eine Art Panik aus, denn sie haben ja doch noch so viel zu tun, und der Tag hat nur 24 Stunden. Aber: Pausen sind enorm wichtig. Verzichtet man auf sie, wird man unkonzentriert, und Fehler unterlaufen. Dies hat dann zur Folge, dass man noch mehr Zeit aufwenden muss, um die Fehler wieder zu korrigieren. Man erkennt einen deutlichen Teufelskreis. Dabei können bereits kleine Pausen, wie mal vom Schreibtisch aufstehen, um einen Kaffee zu kochen, oder zwischen Meetings und Terminen mal eine Runde um den Block gehen, helfen, um neue Kraft zu sammeln.

5. To-Do-Listen
Gerade für die, denen es schwerfällt, ihren Alltag, ihre Aufgaben und ihre Termine zu planen und zu koordinieren, oder für die, die damit anfangen wollen, noch ein alter, aber sehr bewährter Tipp von mir: To-Do-Listen. Und dazu gehört nicht nur, sich Gedanken zu machen über alles, was ansteht, was man erledigen will oder muss, sondern diese Gedanken auch wirklich aufzuschreiben. Das entlastet den Kopf, und man kann auch nichts vergessen. Größere Projekte sollte man in kleinere Schritte aufteilen, und auch die bereits angesprochene Zeit für sich selbst gehört unbedingt auf diese Liste. Man kann solche Listen auf dem Smartphone erstellen oder handschriftlich auf Zetteln, in Notizbüchern oder direkt im Kalender. Einen kleinen Vorteil bieten die analogen Listen nämlich: Man kann ganz bewusst abhaken oder durchstreichen, was man erledigt hat. Dadurch macht man seinen eigenen Fortschritt sichtbar, und gleichzeitig motiviert es einen, denn man bekommt das Gefühl vermittelt von „Ich habe etwas geschafft“. Beachten sollte man aber immer: realistische Ziele setzen. Nimmt man sich zu viel vor und scheitert dann daran, ist das viel schlechter für uns und unsere Stimmung, als wenn wir in kleinen Schritten nach und nach Erfolge erzielen.

Motivation sollte hier immer beachtet werden. Unsere Schützen liefern auch hier wertvolle Tipps zur Anregung.

1. Mit Freunden trainieren und gemeinsame Ziele verfolgen
Gerade für Lukas Winkelmeyer ist es motivierend, nach einem langen Arbeitstag nochmal zum Training zu fahren. „Nach der Arbeit ist es für mich definitiv Entspannung“, erzählt er, „gerade im Sommer in kurzer Hose die Sonne zu genießen ist einfach perfekt.“ Winkelmeyer beschreibt aber auch etwas, was viele von uns kennen, nämlich den Wechsel von der sonnigen Außensaison in die Hallensaison. „Gerade im Winter, der dunklen Jahreszeit, sieht das schon anders aus mit der Motivation.“ Hier ist es aber wichtig, persönliche Ziele zu setzen, wie er uns verrät. Bei Lukas ist das Ziel, das ihn in den Wintermonaten motiviert, die Bundesliga. Gerade im Team motivieren die Schützen sich gegenseitig. Er scherzt: „Gerade gegen ein schönes Training mit Carlo Schmitz kann man nichts sagen.“ Beide sind enge Freunde und vertreten zusammen Sherwood BSC Herne an der Schießlinie. Neben klaren Zielen, die man sich setzt, sind auch also die Leute, die einem dabei helfen, diese zu erreichen, wichtig. Vor allem Freundschaften im Sport wirken sich positiv auf unsere Motivation aus. Obwohl Bogensport ein Einzelsport ist, sollte man auch Phasen in sein Training einbauen, in denen man nicht nur alleine schießt, denn mit Gleichgesinnten überwindet man seinen inneren Schweinehund direkt viel besser.

2. Begeistert euch durch Abwechslung
„Spaß haben!“, lautet der eindeutige Tipp von Max Weckmüller. Gerade wenn man Probleme hat, sich zu motivieren, tut Abwechslung gut und fördert den Spaßfaktor. Als Beispiel nennt Max einen Wechsel der Bögen. Wenn man Recurve schießt, darauf aber einfach mal keine Lust hat, kann man im Training einfach mal für einen Tag zum Compoundbogen wechseln. Natürlich sofern man die Möglichkeit und die Mittel hat. Eine andere Art der Abwechslung wäre es auch mal, auf einem Parcours zu schießen oder auf andere Auflagen. Solche Kleinigkeiten verhelfen einem schon aus seinem Trott heraus. Die Motivation ergibt sich dann wieder von alleine, und man kann wieder an sein normales Training anknüpfen.

3. Sportkleidung
Ein Ratschlag von Kathi Bauer, bei dem ich ihr zu 100 Prozent zustimmen muss, ist es, gerade wenn man im Homeoffice ist, schon vorher Sportkleidung anzuziehen. Wenn man die Kleidung schon trägt, überwindet man sich viel leichter, sich nach der Arbeit nochmal sportlich zu betätigen. Gerade neue Sportkleidung schreit danach, „eingeweiht“ und benutzt zu werden.

4. Klare Ziele definieren und verfolgen
„Warum mache ich es denn?“, ist eine sehr gute Frage, die Kathi sich nach langen Arbeitstagen stellt. „Ich möchte ja auch was erreichen, und das erreiche ich natürlich nur, wenn ich viel mache oder mehr mache als die andern.“ Sich also immer mal wieder die eigenen Ziele verdeutlichen, regt neben dem eigenen Kampfgeist auch die Motivation an. Auch Max Weckmüller und Lukas Winkelmeyer stimmen diesem Punkt zu. „Wettkämpfe können langfristige Ziele für die eigene Trainingsgestaltung sein. Man hat ein klares Ziel, auf das man hinarbeiten kann“, fügt Max hinzu. Dabei variiert er mit seinen Zielen: Fühlt er sich an einem Tag richtig gut, setzt er sich ein höheres Ziel im Training, eine bestimmte Ringzahl, und solange diese nicht erreicht ist, kann er nicht nach Hause gehen. Er betont aber auch, dass gerade solche Ziele realistisch sein müssen. „Die Ziele sollten auch nicht zu leicht sein, dass man sie mal eben aus den Ärmeln geschüttelt schafft. Es muss schon was sein, wofür man arbeiten muss. Gerade dann bringen Ziele sehr viel Positives“, ergänzt er. Kathi Bauer hat noch ein richtig gutes Konzept, das jeder von uns im Training umsetzen kann: „Pro Woche setze ich gerne zwei kurzfristige Ziele. Erst ein etwas niedrigeres Ergebnis und das zweite höher, damit ich ein Erfolgserlebnis habe, wenn ich das eine schaffe und auf das zweite Ergebnis zusteuere.“

Mit diesem spannenden Einblick haben wir gesehen, wie Sportler Beruf und Sport vereinbaren können und was für tolle Förderkonzepte manche Arbeitgeber ermöglichen. So mancher Leser schafft es mit den Tipps und Tricks bestimmt auch, sich nach einem langen Tag nochmal für das Training zu begeistern.

Sehenswert: Die DAK-Gesundheit hat mit Kathi Bauer bereits mehrere Videos gedreht, eins davon zeigt ihr Leben zwischen Profisport und Karriere. Schaut doch direkt mal rein:
https://www.dak.de/dak/darum-zu-uns/bogenschuetzin-katharina-bauer-2380110.html#/